Balsam für gequälte Hamburger Jazz-Seelen
Jazz Piano Celebration
In einer Zeit, in der Hamburger Jazz-Freunde nach dem Ende des Stellwerks nun auch die bevorstehende Schließung des Jazzclubs Birdland zu beklagen haben, feierte Jan Matthies das fünfjährige Bestehen seiner Hamburger Musikagentur mit einem Konzert „seiner“ Künstler im kleinen Saal der Laeisz-Halle. Die bedankten sich mit einem musikalischen Feuerwerk, das dem Publikum den Abend höchst kurzweilig werden ließ.
Der begann mit einer Solo-Interpretation von „Body and Soul“ durch Alan Broadbent, den gebürtigen Neuseeländer, der schon seit Jahrzehnten in USA lebt und in Deutschland bislang vor allem als Pianist von Charlie Haden’s Quartet West bekannt ist. Sein Solo zeigte seine Vertrautheit mit der europäischen Romantik ebenso wie entspannten Swing. Danach gesellten sich Bassist Philipp Steen und Schlagzeuger Kai Bussenius zu Broadbent. Im Trio kamen die besonderen Fähigkeiten des Pianisten als Arrangeur stärker zum Vorschein, vor allem in Ornette Coleman’s „Lonely Woman“, das er zu einer dramatischen Erzählung mit hoher Dynamik machte, in der Philipp Steen sein bestes Solo des Abends gelang. Im zweiten Teil spielte der Hamburger Pianist Boris Netsvetaev ein kurzes Solo-Set, das in seiner Präzision wie auskomponiert wirkte. Der gebürtige Russe bestach mit stupender Technik und Humor in seiner Eigenkomposition „Happy Hour“, aber wirkte etwas angespannt. Die New Yorker Pianistin Ayako Shirasaki, gebürtige Japanerin, spielte im Trio mit Steen und Bussenius einen mitreißenden Set in bester amerikanischer Klaviertrio-Tradition. „How Deep is the Ocean“ hatte einige lyrische Elemente, doch ihr Spiel lieferte keine asiatischen Anklänge, sondern weckte Assoziationen an große amerikanische Pianisten wie Oscar Peterson oder Dorothy Donegan. Spätestens in Bud Powell’s „Un Poco Loco“ standen ihr kraftvoller Anschlag und heftiger Swing im Vordergrund. Mit dem Hardbop-Standard „Joy Spring“ schickte sie das Publikum be“swing“t in die Pause.
Die zweite Konzerthälfte gehörte zunächst dem Vibraphonisten Wolfgang Schlüter, den seine massive Sehschwäche nicht darin behinderte, mit zwei oder auch vier Klöppeln virtuos sein Vibraphon zu bearbeiten. Seine junge Band mit Netsvetaev, Steen und Bussenius inspirierte ihn zu beseelten Läufen. „Ohne die hätte ich schon längst aufgehört“ bekannte er glaubwürdig. Umgekehrt war auch bei den jungen Musikern die Freude an und Achtung vor dem Jazz-Altmeister spürbar. Schlüter begann mit „Albert“, einer schönen Eigenkomposition, die Albert Mangelsdorff gewidmet war. Höhepunkt seines Auftritts war am Ende seine Komposition „Visionen“, die auch Namensgeber seiner aktuellen CD war, für die er gerade mit dem ECHO ausgezeichnet wurde. Hatte das junge Trio gerade noch mit Wolfgang Schlüter besten akustischen Mainstream Jazz gespielt, wechselten Netsvetaev und Steen nun an Keyboards und E-Bass und demonstrierten ihre Vielseitigkeit als elektrische Ausprägung des Hammer Klavier Trios. Passend dazu wurde Kai Bussenius’ Schlagzeugspiel rockig. So gaben sie unter anderem Kraftwerk’s „Radioactive“ einen Rock Jazz Touch. Zum Finale kamen alle Musiker zusammen auf die Bühne zu einer stürmischen Version von „I’ll Remember April“, bei der sich die drei Pianisten am Flügel abwechselten. Dieses mehr als dreistündige Konzert, das ein deutlich größeres Publikum verdient gehabt hätte, ließ die Anwesenden die prekäre Lage des Jazz in Hamburg kurzzeitig vergessen.
Hans-Bernd Kittlaus