David Virelles Interview

Ein Kubaner in New York

pdf[1] (erschienen im Jazz Podium 02/2019)

© Hans-Bernd Kittlaus 2018
David Virelles by © Peter Tümmers 2018

Innerhalb von wenigen Wochen spielte David Virelles gleich zweimal in Köln, zunächst solo im Loft, dann im Duo mit Schlagzeuger Marcus Gilmore im Rahmen des KLAENG Festivals im Stadtgarten. Der gebürtige Kubaner ist 35, wird zu den führenden Pianisten seiner Generation gezählt und hat bereits drei CDs auf ECM veröffentlicht. 2001 emigrierte er von Kuba nach Kanada, seit 2009 lebt er in New York. Nach dem Konzert im Stadtgarten hatte JP Mitarbeiter Hans-Bernd Kittlaus Gelegenheit zu einem Interview.

HBK: David, ich fand die Intensität im Zusammenspiel von dir mit Marcus sehr eindrucksvoll. Ihr spielt schon lange zusammen?

DV: Ja, Marcus war einer der ersten, mit dem ich spielte, als ich nach New York kam. Wir hatten uns 2007 kennengelernt, als wir zusammen eine Tour mit Steve Coleman in Algerien machten.

HBK: Das war während deiner Zeit in Kanada?

DV: Ja. Jane Bunnett (kanadische Saxofonistin und Flötistin) war seit 1982 immer wieder nach Kuba gereist. Sie kam 1996/1997 an meine Musikhochschule und hörte mich spielen. Sie lud mich dann zu einer Aufnahme mit ihrer Band ein. Wir nahmen im nächsten Jahr eine CD auf, die schließlich einen Grammy bekam. Sie gewann ein paar Jahre später einen Preis in Kanada und nutzte das Preisgeld, um mich nach Kanada zu holen und mit mir zu spielen. Ich bekam dann ein Stipendium, um an der Universität Toronto zu studieren. Nach meinem Studienabschluss blieb ich noch eine Zeit in Kanada, bevor ich nach New York wechselte. Ohne Jane wäre das alles nicht passiert.

HBK: Du hast damals sogar den Oscar Peterson Award gewonnen. Hatte Oscar eine Bedeutung für dich?

DV: Natürlich. Er war einer der größten Jazz Pianisten aller Zeiten, eine Legende. Sie hatten gerade diesen Preis kreiiert. Ich war der erste Preisträger, und Oscar hat ihn mir persönlich überreicht. Eine wundervolle Erinnerung. Ich konnte mich mit ihm unterhalten, und er erzählte mir eine Menge Geschichten von all den legendären Musikern, die ich so bewundere, wie Charlie Parker oder Bud Powell.

HBK: Später bis du dann nach New York gegangen. Hatte das einen besonderen Grund?

DV: Oh ja. Ich hatte immer vorgehabt, eines Tages nach New York zu gehen, weil ich Teil dieser unglaublichen New Yorker Musikszene werden wollte. Als ich Fördergelder bekam, um mit dem großartigen Komponisten Henry Threadgill zu studieren, zog ich nach New York um. Ich dachte erst, das wäre temporär. Aber dann öffneten sich so viele Türen für mich und ich bin geblieben. Marcus lud mich gleich ein. Auf der Coleman Tour hatte es schon geklickt zwischen uns. Ich nenne ihn den Propheten. Er ist einer der jungen Meister des Jazz Schlagzeugs. Weitere Kontakte hatte ich aus dem Umfeld von Steve Coleman. Ich kam mit Richard Muhal Abrams (1930-2017) zusammen, den habe ich geliebt, als Pianist, als Lehrer und als Mensch. Dann kamen immer mehr Musiker auf mich zu und wollten mit mir spielen.

HBK: Du hast auch mit Barry Harris studiert. Zu den Wurzeln des Bebop.

DV: Ich bin ein Bebop Fanatiker, Bud Powell, Thelonious Monk. Als ich Kuba verlassen hatte und herausfand, dass Barry immer noch unterrichtete, nutzte ich jede Gelegenheit in Toronto und in New York, ihn zu sehen. Barry hat mir nicht nur viel über die Jazz Tradition beigebracht, sondern mir auch neue musikalische Möglichkeiten eröffnet. Er hatte besonderen Einfluss auf meine Entwicklung, genauso Henry Threadgill, Steve Coleman, Kenny Barron und Stanley Cowell.

HBK: Du hast nur mit den Besten gearbeitet.

DV: Ich will immer zu den Quellen gehen. Auch wenn ich zeitgenössische Musik spiele, betrachte ich mich doch als traditionellen Musiker in dem Sinne, dass ich in der Tradition stehe und daraus meine Musik entwickle, sei es in meinen Projekten oder auch, wenn ich in den Bands anderer Musiker spiele. Die Wurzeln sind sehr wichtig für mich.

HBK: Du hast in letzter Zeit verstärkt Elektronik eingesetzt. Warum?

DV: Ich mag die erweiterten klanglichen Möglichkeiten. Ich habe ja lange Zeit nur akustisches Klavier gespielt. Mit den Erfahrungen aus der Welt der elektronischen Klänge höre ich jetzt neue Möglichkeiten auch im akustischen Bereich.

HBK: Die Art wie du das akustische Klavier heute im Konzert mit elektronischen Klängen verknüpft hast, war faszinierend. Aber glaubst du nicht, dass die Elektronik dich wegführt vom Spirituellen?

DV (lacht): Ich sehe die elektronischen Klänge als Erweiterung meiner Ausdrucksmöglichkeiten. Das Klavier war ja auch menschengemacht. Es ist nicht an Bäumen gewachsen, war in dem Sinne nicht natürlich. Das gilt für die meisten Musikinstrumente. Sie waren zu ihrer Entstehungszeit, was der Synthesizer heute ist. Insofern ist es für mich das Gleiche, auch wenn die physische Bedienung unterschiedlich ist. Letztlich kommt es doch darauf an, was ich als Künstler aus diesen klanglichen Möglichkeiten mache.

HBK: Der Grund für meine Frage war, dass bei akustischen Instrumenten der Musiker durch die physikalischen Gegebenheiten der Instrumentenbedienung einen direkteren physischen Einfluss auf die Tonerzeugung hat, als das bei elektronischen Instrumenten zumeist der Fall ist.

DV: Ich weiß nicht, ob ich dem zustimmen würde. Das ist eine Frage der Beherrschung des Instruments. Nimm Joe Zawinul. Der war ein großartiger Pianist, und hat später seine elektronischen Instrumente genauso beherrscht. Ein Zauberer, der unglaubliche Wirkung erzielen konnte. Aber das akustische Klavier wird mein Hauptinstrument bleiben. Meist beziehen sich meine musikalischen Ideen zuerst auf das Klavier, nicht immer, aber meist.

HBK: Wenn ich deine CDs anhöre, habe ich das Gefühl, dass du ein Spiritseeker (Suchender nach dem spirituellen Gehalt) bist. Insofern erscheint mir deine Musik näher an jemandem wie Randy Weston als an den meisten kubanischen Pianisten.

DV: Das spirituelle Element ist für mich sehr wichtig. Ich beschäftige mich auch mit religiösen Traditionen Kubas, die Verbindungen nach Afrika haben. Es ist interessant, dass du mich mit Randy in Verbindung bringst. Er ist eines meiner Idole. In meinen ECM Aufnahmen haben wir bewusst versucht, dieses afrikanische Element zu verfolgen. Aber wenn du meine neueste CD anhörst, dann hörst du viel stärker meine kubanischen Wurzeln. Das ist sehr traditionelle kubanische Musik aus meiner Geburtstadt Santiago de Cuba und Kompositionen von Antonio Maria Romeu, der bekannt war für Danzón. Das passte nicht recht zu ECM, deshalb habe ich das selbst produziert und bringe es auf PI Recordings raus.

HBK: Was bedeutet es für Dich, als Kubaner in New York zu leben?

DV (lacht): Meine Identität als Kubaner ist mir in New York sehr bewusst. Die Leute kommen aus der ganzen Welt. Das verschmilzt. Einerseits bin ich Teil der großen kubanischen Community in New York, andererseits Teil der kosmopolitischen Jazz-Szene. Das hat großen Einfluss auf meine musikalische Entwicklung gehabt. Das was ich heute mache, ist nur möglich, weil ich in New York lebe.

Hans-Bernd Kittlaus

www.davidvirelles.com

Aktuelle CDs:
David Virelles: Igbó Alákorin (The Singer’s Grove) Vol.1 & II, PI Recordings
David Virelles: Gnosis, ECM