Kontrastreiches Programm beim vierten Jazzfest Bonn
Es ist wieder Zeit für einen Bericht aus Bonn. Die vierte Ausgabe des von Peter Materna mit gutem Durchblick und etablierten und nachwachsenden Musikern besetzte Jazzfest Bonn startete im „Haus der Geschichte“. Dessen Präsident Hans Walter Hütter zog, das Publikum begrüßend, eine Linie von der aktuellen Ausstellung „The American Way“ zu einer Musik, die in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch amerikanische Soldaten und ihren Schallplatten zur „Jazzsozialisierung“ beigetragen hat. Und Moderator Thomas Heyer (WDR-TV-Journalist „Aktuelle Stunde“) glaubte herausgefunden zu haben, daß „immer mehr Menschen in Bonn merken, daß sie Jazz mögen.“ Dem kann man insofern zustimmen, als daß alle sieben Doppel-Konzerte bereits Wochen vorher ausverkauft waren.
Zwei feinsinnige Lyriker des Jazz, alte Freunde, die als Duo gemeinsam durch Europa gezogen sind, eröffneten die Bonner Jazzdialoge: John Abercrombie und Marc Copland. Ihre intime Zwiesprache und die kurzen Zwischenmonologe öffneten ein kammermusikalisches Vielklangfarbenspiel auf homogener Fläche, oft mit kaum bemerkbarem Spannungsaufbau, der beide Musiker auf einer weiteren Ebene wieder vereinte. Bei John Abercrombie schien jeder Ton aus seinem Gesicht auf die Gitarrensaiten zu fallen, so heftig grimassierend begleitete er sein Spiel. Marc Copland dagegen strahlte große Gelassenheit aus, fast introvertiert beugte/verbeugte er sich vor und über dem Piano. „C&A“ schöpften aus jeweils eigenen reichhaltigen Kompositionskatalogen. „I came from the sixties, I don’t remember anything“ fügte John Abercrombie seinem angekündigten Titel „LST – Little Swing Time“ an und wies kokett auf die lautmalerische, rein zufällige Ähnlichkeit mit einer chemischen Substanz hin. Das Set mit ausgiebigen Improvisationspassagen der langgedienten Jazzer lebte von großer Intimität und gegenseitigem Verständnis. Einen krassen Gegensatz zum feingliedrigen Kammerjazz setzte ein anderer Altmeister. Rolf Kühn umgab sich mit den drei jungen Musikern des „Tri-O“, von denen jeder für sich eine individuelle Seite pflegte und gemeinsam im Quartett mit Kühn explosionsartige Ausbrüche provozierte. Beim Generationenergänzungsspiel hielt es Schlagzeuger Christian Lillinger kaum im Zaum, wenn er die Besen einsetzte, rauschte es wie im Regenwald. Das Bassspiel von Johannes Funk berührte erdige Klangflächen, Gitarrist Ronny Graupe fand Antworten auf nicht erwartete Fragen. Rolf Kühn setzte die Kontra-Punkte, folgte mit der Klarinette souverän eigenen Ideen, lenkte feinfühlig die Soundmaschinerie mit durchbrochenen Linien und verbeulten Kreisen und schaffte es, die Grenzen zur Neuen Musik zu öffnen.
In der Bundeskunsthalle eröffnete das Ehepaar Eliane Elias und Marc Johnson den zweiten Festivalabend, als dritter im Bunde bediente Steve Cardenas die Gitarre. Nachdem die blond- und langmähnige Sängerin und Pianistin die Highheels ausgezogen hatte, wehte Jazz im Sambarhythmus und brasilianischer Swing durch den voll besetzten Saal. Stücke von Gilberto Gil, Chet Baker, Bud Powell und Bill Evans hüllten den Abend in ein fast sorgenfreies Lebensgefühl ein, obwohl Eliane Elias‘ sanft-samtige Stimme auch eckig wirkte. Sie sang überwiegend englische Texte, wobei ihre Aussprache die brasilianischen Wurzeln nicht verschwieg. Als renommierte Pianistin zeigte sie sich beim Solostück „Don’t Ever Go Away“ von Antonio Carlos Jobim. Anschließend krachte es im Gebälk der Bundeskunsthalle, als das Bundesjazzorchester, von Niels Klein dirigiert, sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen lautstark zelebrierte. Zweiundzwanzig Köpfe formulierten den Programmanspruch, die „Next Generation“ des deutschen Jazz zu sein, mit Kompositionen von Klein und anderen nachwachsenden Jungjazzern wie Johannes Lauer und Monika Roscher. 1988 startete das Orchester im Bonner Bundeskanzleramt mit dem renommierten Dirigenten Peter Herbolzheimer, der bis 2006 den Klangkörper leitete. Das Bonner Programm stand im Zeichen eines Kompositionswettbewerbes, den das BuJazzO zum zweiten Mal ausgeschrieben und den Stefan Karl Schmid mit dem Titel „Persistence Of Memory“gewonnen hatte. Das Vokalensemble der Bigband interpretierte einen Song nach dem Robert-Frost-Gedicht „Way“ und stellte die Siegertitel der Kategorie „Bigband und Vocalensemble“ des Wettbewerbes vor.
Zum ersten Mal öffnete das „Beethoven-Haus“ seinen Kammermusiksaal für einen Konzertabend des Jazzfestes. Da federte ein quicklebendiger, wie ein Papagei in bunten Gewändern gekleideter, fünfunddreißigjähriger Kolumbianer über das winzige Bühnenareal und spielte – auf einer Harfe. Jazz und Harfe? Ja, Jazz und Harfe. Malte Boecker, Direktor des Hauses, zog Vergleiche mit dem großen Komponistensohn der Stadt: „Alles ist Jazz – auch Beethoven. Seit 1793 wartete er darauf, daß Klavier und Harfe unterschiedlich klingen.“ Der junge Edmar Castaneda zeigte – im Stehen spielend und kaum größer als das Instrument – wie der Klang sich unter den Händen eines vieles wagenden Instrumentalisten der Neuzeit verändern kann. Ein ostinater Bass und die perkussive Spielweise sorgten für atemberaubende Töne, die das bekannte Klangbild der Harfe völlig veränderten. Hier erfand ein Musiker ein Instrument neu. Kraftvoll, ausgereift, direkt wirkend, ein Klangfluss ohne Ufer – Edmar Castaneda gingen die Ideen nicht aus, und dem Publikum nicht der Applaus. Wie aus einem Guss formulierten danach Jasper van’t Hof am Piano und Tony Lakatos am Tenorsaxophon ein Statement aus Swing, Rockjazz und Modern Jazz. Der kongeniale Virtuose van’t Hof zeichnete in seinen Ausflügen in Elemente der Neuen Musik ein extravagantes Klangbild. Der ruhende Pol Tony Lakatos erduldete stoisch van’t Hofs sprunghaftes Klavierspiel, und dominierte mit harmonischer Gelassenheit beider Spiel. Einige Titel, so van’t Hof, hatten sie noch nie zusammen gespielt, andere glänzten trotz Routine. Ihre mit gelegentlichen Aufheiterungen gepaarte Ernsthaftigkeit führte sie bis in die rockharmonische Unruhe der afrikanisch geprägten Formation Pili Pili, die Jasper van’t Hof vor fast dreißig Jahren gründete. Der schnelle, scharfkantige Jazzrock hat von seiner eingängigen Stimmung auch in der Duopräsentation nichts verloren.
Neben Eliane Elias bot das Jazzfest drei weitere Sängerinnen. Die Norwegerin Randi Tytingvag machte Pop-Musik für Erwachsene, teilweise anspruchsvoll, teilweise seicht, aber mit schöner voller Stimme. Die Portugiesin Maria Joao stellte ihre Exzentrik mit einer Darbietung unter Beweis, die Erinnerungen an chinesische Oper und Ausdruckstanz weckte. Die jazzigen Elemente kamen primär durch ihr gutes Trio mit Pianist und Ehemann Mario Laginha ins Spiel. Die Amerikanerin Patricia Barber schließlich war etwas indisponiert, d.h. leicht verschnupft. Sie begann ihr Set mit einer schönen Instrumentalversion von „Alone Together“ in Klaviertrio-Besetzung, wobei insbesondere Bassist Larry Kohut sowohl solistisch als auch begleitend überzeugte. Ihr Gesangsprogramm gestaltete sie gekonnt als Mischung aus Eigenkompositionen und Standards. Dabei blieb allerdings unverständlich, warum sie ihrem E-Gitarristen Dave Miller erlaubte, ihre Musik, bei der kleinste Nuancen Bedeutung haben, mehrfach brachial zu dominieren.
Christoph Lauer gestaltete einen seiner seltenen Auftritte im Rheinland spannend. Er spielte sein Tenorsaxofon ausdrucksstark und fulminant auf Coltrane’s Spuren. Dabei wurde er exzellent unterstützt von Michel Godard an Tuba und E-Bass sowie von Patrice Heral am Schlagzeug. Der junge Pianist Pablo Held stellte sein siebenköpfiges GLOW Ensemble vor, das auf Helds eingespieltem Trio mit Bassist Robert Landfermann und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel basiert, das ergänzt wurde mit Henning Sieverts als zweitem Bassisten, John Schröder an der Gitarre sowie Niels Klein und Christian Weidner an den Saxofonen. Held versuchte, das auf Gruppenimprovisation ausgerichtete Trio-Konzept auf das Septett zu erweitern, was in großen Teilen gut gelang. Solistisch ragten Klein, Held und Burgwinkel heraus. Till Brönner und Dieter Ilg bestritten ein überzeugendes Duo Konzert am Ende des Festivals. Sie improvisierten viel, wobei sich Brönners coole Trompetenlinien perfekt mit Ilgs wohlgesetzten Basstönen verzahnten.
Insgesamt war diese vierte Ausgabe des Bonner Jazzfests ein voller Erfolg für Peter Materna und sein engagiertes Team mit Edmar Castaneda und Till Brönner/Dieter Ilg als den herausragenden musikalischen Momenten. Welcher Festivalorganisator verfügt über eine solche Unterstützung durch Partner wie Deutsche Telekom, Deutsche Post, Bechtle und viele mehr, über so interessante Spielstätten und ein Wochen vor Beginn vollständig ausverkauftes Programm? Und der Bonner Oberbürgermeister sagte in entschuldigendem Ton, dass die Stadt jetzt auch etwas beisteuern würde. Also im Vergleich zu den meisten anderen Festivals paradiesische Zustände, die sich Materna sicherlich hart erarbeitet hat. Beim Programm gefällt die Kombination von guten deutschen Bands mit internationalen Gruppen in Doppelkonzerten, die den deutschen Bands ein größeres Publikum verschaffen. Inhaltlich lässt sich das Programm aber noch schärfen. Warum nicht mal Entdeckungen aus USA oder Italien, die man in Deutschland sonst nicht zu sehen bekommt? Und auch der eine oder andere schwarze Musiker sollte das gewachsene Selbstbewusstsein des deutschen Jazz nicht erschüttern können. Die nächste Ausgabe wird mit erweitertem Programm vom 23. bis 31. Mai 2014 stattfinden.
Klaus Hübner und Hans-Bernd Kittlaus 19.05.13