NSJF 2009

North Sea Jazz Festival 2009
Risiken zahlen sich aus

pdf[1](erschienen 9/2009)

 

Das North Sea Jazz Festival im Rotterdamer Ahoy Zentrum trotzte in seiner 34. Ausgabe der Wirtschaftskrise höchst eindrucksvoll. Mit knapp 70.000 Zuschauern und zwei ausverkauften von drei Tagen konnte das Vorjahresniveau gehalten werden. Dies gelang dank eines exzellenten Programms, das Publikumsmagneten und Pop-Größen wie Duffy, Adele, Seal und Erykah Badu mit spektakulären Auftritten von Easy Listening-König Burt Bacharach oder Herbie Hancock mit Lang Lang verband, aber auch spannende Künstler abseits des Mainstreams präsentierte. So drückte etwa die Wahl des New Yorker Saxofonisten, Komponisten und Arrangeurs John Zorn eine ungewohnte Risiko-Freude aus.

Schwerpunkte

Zorn konnte mit sechs verschiedenen Formationen auftreten und genoß sichtlich den unerwartet großen Publikumszuspruch für die teilweise sehr anspruchsvolle Musik. Seine Band Masada, mit Pianist Uri Caine und Perkussionist Cyro Baptista zum Sextett erweitert, begeisterte mit inspiriertem Spiel, bei dem immer wieder Elemente der jüdischen Klezmer-Tradition durchschienen. Passend zur 400-Jahr-Feier der japanisch-holländischen Handelsbeziehungen bildete Japan einen Programmschwerpunkt mit 8 Bands. Während Kyoto Jazz Massive Live Set die Klub-Szene repräsentierte, stand Otomo Yoshihide für die japanische Avantgarde. Die Soil & Pimp Sessions faszinierten das Publikum mit ihrem brachialem Mix, den sie selbst durchaus treffend als Death Jazz bezeichnen. Großer Raum wurde dieses Jahr jungen Nachwuchs-Jazz-Musikern eingeräumt. So gab es die EBU European Jazz Competition mit fünf jungen europäischen Bands. Die Jury unter Maria Schneider erklärte das norwegische Improvisations-Duo Albatrosh zum Sieger, der Kölner Jonas Burgwinkel, Schlagzeuger im Pablo Held Trio, wurde als bester Solist ausgezeichnet. Trompeter Matthias Schriefl, ebenfalls aus Köln, stellte seine Band Shreefpunk vor, die durch ausgefeiltes Zusammenspiel zwischen Jazz und Rock und viel Humor bestach.

Der virtuose New Yorker Schlagzeuger Ari Hoenig begeisterte nicht nur mit seiner Fähigkeit, das Drum Set im Song ‚Moanin’’ als Melodieinstrument einzusetzen, sondern hatte in seinem Quartett gleich zwei herausragende Nachwuchs-Jazzer, den Gitarristen Gilad Heckselman und den armenischen Pianisten Tigran Hamasyan, die sich gegenseitig mit verblüffenden Läufen und melodischer Improvisation überboten. Vor allem Hamasyan hätte man noch mehr Raum zur solistischen Entfaltung gewünscht. Bassistin und Sängerin Esperanza Spalding zeigte sich vor völlig überfüllten Rängen deutlich jazziger als auf ihrer aktuellen pop-lastigen CD. Der Pianist Gerald Clayton, Sohn des Bassisten John Clayton, bot mit Bassist Joe Sanders und dem dynamischen Schlagzeuger Justin Brown Trio-Spiel vom Feinsten und stellte seine Debut-CD ‚Two-Shade’ vor. Aufmerksame Interaktion, spannende Eigenkompositionen, fesselnde Dynamikwechsel und solistische Höhenflüge ließen die Konzertstunde im Fluge vergehen. Clayton und Brown hatten auch maßgeblichen Anteil am Erfolg der Gruppe des Trompeters Ambrose Akinmusire, zu der außerdem der Bassist Harish Raghavan gehörte. Als Rhythmusgruppe legten sie ein Feuerwerk unter die relativ coolen Trompetenlinien Akinmusires, des Gewinners des renommierten Thelonious Monk Wettbewerbs 2007. Als Zugabe spielte Akinmusire ein Duo mit Clayton über ‚Body and Soul’, das ihre Verwurzelung in der Jazz-Tradition und ihre Ausdrucksstärke demonstrierte. Pianist Eldar hingegen enttäuschte in seinem Trio-Set mit etwas Zuviel von Allem, d.h. penetranter Rocklastigkeit von Bassist und Schlagzeuger, hemmungslosem Einsatz seiner brillianten Technik und unangenehmen Synthesizer-Klängen. Trompeter Christian Scott kam mit umbesetzter Band, in der Nachwuchs-Pianist Milton Fletcher und Schlagzeuger John Lamkin für einen Sound sorgten, der mehr Jazz und weniger Rock enthielt als zuvor. Scott’s früherer Pianist Aaron Parks präsentierte sein Trio mit Bassist Matt Brewer und dem jungen Schlagzeuger Ted Poor, der mit seiner differenzierten hochmusikalischen Spielweise Parks zu spannenden Solos animierte.

Highlights

Der diesjährige Paul Acket Award ging an den italienischen Pianisten Stefano Bollani, der sich mit einem Quintett-Set zwischen höchster musikalischer Virtuosität und anarchischem Humor bedankte, der auch vor der Einbeziehung der Preisstatue ins musikalische Geschehen nicht halt machte. Fred Hersch, äußerlich heftig gezeichnet von seiner Aids-Erkrankung, faszinierte mit seinem feinfühligen ideenreichen Klavierspiel und exzellenten Kompositionen, die insbesondere Trompeter Ralph Alessi und Saxofonist Tony Malaby zu guten Solos inspirierten. Herschs Anschlagskunst konnte nur Altmeister Hank Jones das Wasser reichen, der im Trio mit Bassist George Mraz und Schlagzeuger Willie Jones Standards zelebrierte. Das Vanguard Jazz Orchestra konnte nicht an das inspirierte Konzert in Salzau fünf Tage zuvor anschließen und enttäuschte, wenn auch auf hohem Niveau. Gewohnt präzise dagegen das Lincoln Center Jazz Orchestra unter Wynton Marsalis, das mit dem spanischen Pianisten Chano Dominguez als Gast Flamenco Jazz spielte. Nicht ganz so gut eingespielt war die Big Band von Roy Hargrove, der seinen Set auf fast zwei Stunden ausdehnte. Als Solisten ragten neben Hargrove die Sängerin Roberta Gambarini und der junge Pianist Jonathan Batiste heraus, der mit seiner grenzenlosen Spielfreude schnell zum Publikumsliebling wurde. Ein Highlight bot das Two-Tenor-Quintett des New Yorker Bassisten Mario Pavone. Darin begeisterte Pianist Peter Madsen mit expressiven Klang-Kaskaden und schuf mit Pavone und Drummer Gerald Cleaver ein mächtig pulsierendes Rhythmusfundament, auf dem sich die Saxofonisten Tony Malaby und Jimmy Greene in freundschaftlichen Wettbewerb begaben. Diese Musik hatte ähnlich mitreissende Lebendigkeit und Intensität wie der Trio-Auftritt des Tenorsaxofonisten Joshua Redman mit Bassist Reuben Rogers und Schlagzeugdynamo Greg Hutchinson. Redman steigerte sich zu fulminanten Solos, die das Publikum zu Beifallsstürmen hinrissen. Die niederländische Saxofonistin Tineke Postma hatte eine recht gute CD mit dem Super-Trio mit Pianistin Geri Allen, Bassist Scott Colley und Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington eingespielt, die vom Live-Auftritt dann weit übertroffen wurde. Scott Colley fühlte sich sichtlich wohl als Hahn im Korb der drei Damen. Die Rhythm Section spielte höchst inspiriert auf und trieb die Saxofonistin zu solistischen Höhenflügen.

Der Tribute für Nina Simone unter dem Titel „Sing the Truth“ versammelte gleich drei große Stimmen. Begleitet von Musikern, die überwiegend mit Nina Simone gearbeitet hatten, berührte Lizz Wright mit ausgeprägter Südstaaten-Spiritualität. Simone, wie sich die Tochter von Nina Simone nennt, beeindruckte hingegen mit gewaltiger Stimme und der Bühnenpräsenz einer erfahrenen Broadway-Sängerin. Den jazzigsten Beitrag lieferte Dianne Reeves, die sich am weitesten von ihrem üblichen Song-Material entfernen musste und trotzdem überzeugte. Am Ende sangen die drei zusammen „Four Women“ in gänsehaut-erzeugender Intensität. Überschäumende Begeisterung erzielte auch das Trio von Schlagzeuger Roy Haynes. Das lag nicht nur an der seinem Alter spottenden Dynamik des 84-jährigen, sondern auch an seinen Mitstreitern Dave Kikoski am Klavier und John Pattitucci am Bass. Kikoski, der 20 Jahre lang in Haynes’ Quartett gespielt hatte, war sichtlich erfreut, wieder mit dem Altmeister auftreten zu dürfen, und steuerte ein fulminantes Solo nach dem anderen bei. Davon ließ sich auch Pattitucci schnell anstecken. Gemeinsam boten die drei einen der besten Sets des Festivals.

Jan Willem Luyken und sein Organisationsteam waren berechtigterweise sehr zufrieden mit dem diesjährigen Festival und insbesondere mit dem erfreulich guten Publikumszuspruch. Probleme der ersten Jahre am neuen Standort Rotterdam sind weitgehend ausgeräumt. Im Vorfeld störten nur hohe Zusatzkosten für ausländische Ticket-Besteller beim neuen Vermarkter Eventim, doch auch das soll im nächsten Jahr besser werden. Das nächste Festival ist vom 9. bis 11. Juli 2010 geplant.

Hans-Bernd Kittlaus