Das Glück des Tüchtigen
Endlich hat Köln wieder ein großes Jazz Festival, die Cologne Jazzweek. Über acht Tage traten 43 Bands in 14 Locations auf und lieferten viele Highlights. Die Organisatoren um Janning Trumann und alle Beteiligten hatten Glück und profitierten von den rechtzeitig gelockerten Corona-Bedingungen, dem schönen Wetter, dem unbedingten Willen der meisten Musiker, mit besonderer Energie zu spielen, und dem Willen des Publikums, wieder gemeinsame Live-Erlebnisse zu feiern. Angesichts von bis zu sechs parallelen Konzerten pro Abend kann hier nur eine Auswahl besprochen werden.
Die Jazzweek begann im Stadtgarten mit einem Doppelkonzert. Trompeter Peter Evans brachte sein Quartett “Being and Becoming“ mit, in das er einige der angesagtesten jungen New Yorker Musiker eingeladen hatte. Die vier legten mit atemberaubender Energie und Spielfreude los und kreierten eine Vielfalt von Sounds. Schlagzeugerin Savannah Harris, wiewohl erst 27, agierte souverän und variantenreich, Bassist Nick Jozwiak spielte virtuos mit viel Humor. Joel Ross flog in einem Moment blitzschnell über sein Vibraphon, im nächsten produzierte er langgezogene sägende Geräusche. Darüber bließ Evans lange, aber nie zu lange Soli auf Trompete und Taschentrompete mit kontinuierlichem Ideenfluss. Im anschließenden Angelika Niescier Quintett legten Bassist Reza Askari und Schlagzeuger Moritz Baumgärtner ein federndes Rhythmusbett für gleich drei Bläser. Angelika Niescier schien nervös und blies ihr Altsaxofon bis zur totalen Verausgabung, virtuos, aber too much. Dadurch blieb zu wenig Raum für Tenorsaxofonist Soweto Kinch aus England und Trompeter Koen Smits aus den Niederlanden, die trotzdem punktuell ihre Klasse zeigten.
Im Alten Pfandhaus schlug Pianist Jasper van’t Hof einige wuchtige Akkorde an, Schlagzeuger Bodek Janke stieg sogleich mit ebenso wuchtigen Schlägen ein, und das Publikum von 150 Zuschauern, die nach 3G-Check dichtgedrängt wie in Vor-Corona-Zeiten sitzen durften, wusste, was sie über die nächsten 80 Minuten erwarten konnten. Die Band ebenso wie die Zuschauer zelebrierten fasziniert die ausgelassene Stimmung und Interaktion. Saxofonist Paul Heller blies wunderbare Läufe, Bassist Martin Gjakonovski wählte immer genau die richtigen tiefen Töne, van’t Hof peitschte die Musik perkussiv an und Janke legte eine Menge Groove darunter. Ein Fest am Sonntagabend.
Im King Georg Jazz Club traf der aus Berlin angereiste Tenorsaxofonist Peter Weniger auf Pianist Martin Sasse, Bassist John Goldsby und Schlagzeuger Hans Dekker. Von den ersten satten Tönen Wenigers an war klar, dass diese Band ernsthaft Musik machen wollte. Und das taten sie mit Sasse‘s Wechseln zwischen schneller melodischer Improvisation und bluesigen Passagen, Goldsby’s unterschwelligem Groove und Dekker’s treibendem Drumming. Weniger spielte in Top-Form, sichtlich inspiriert von der brillianten Band und dem ausverkauften Club. Am nächsten Abend gedachte Pianist Roman Babik im Trio mit Bassist Martin Gjakonovski und Schlagzeuger Niklas Walter dem Oscar Peterson Trio. Die drei wurden dem anspruchsvollen Vorbild voll gerecht, ohne in pure Kopie zu verfallen. Babik brillierte bis zur völligen Verausgabung und genoß sichtlich die Ovationen des Publikums im erneut ausverkauften King Georg.
Im Loft hatte Meisterpianist Simon Nabatov den New Yorker Saxofonisten Michael Attias zu Gast, mit dem er gerade eine Duo-CD herausgebracht hatte. An diesem Abend traten sie in Quartettbesetzung auf mit Bassist David Helm und Schlagzeuger Dominik Mahnig, die einen fulminanten dynamischen Rhythmusteppich auslegten für Attias, der vergleichsweise konservativ, aber souverän solierte, und Nabatov mit melodischen Läufen und perkussiver Dramatik. Für ihn muss aufkeimende Klangschönheit immer schnell iriitiert werden, und das tat er virtuos.
Am letzten Festivaltag fanden auf dem Ebertplatz gleich mehrere kostenlose Open Air Konzerte bei bestem Spätsommerwetter statt. Die Berliner Gruppe Koma Saxo begeisterte mit dem brachial-genialen Gespann von Petter Eldh am Bass und Christian Lillinger am Schlagzeug sowie den mitreißenden Soli der Saxofonisten Otis Sandsjö, Jonas Kullhammar und Mikko Innanen. Die Großformation LIUN & The Science Fiction Orchestra, geleitet von Sängerin Lucia Cadotsch und Saxofonist und Arrangeur Wanja Slavin, changierte zwischen Pop, Jazz und Ambient Sounds auf nicht durchgängig fesselnde Weise und litt unter suboptimaler Tontechnik, durch die nicht alle Bandmitglieder hörbar waren. Im King Georg spielte im Rahmen der KoKö-Reihe (Kopenhagen – Köln) die dänische Saxofonistin Lotte Anker im Trio mit Pianist Lucas Leidinger und Schlagzeuger Dominik Mahnig. Die drei spielten sehr frei und inspirierten sich wechselseitig zu aussagekräftigen Soli. Vor allem Leidinger faszinierte mit emotionalen Ausbrüchen am Klavier und kreativen Sounds von einem Uralt-Synthesizer.
Das Abschlusskonzert der Jazzweek fand im großen Konzertsaal der Kölner Musikhochschule mit drei Gruppen statt. Christian Lillinger startete mit seiner Großformation „Open Form for Society“, besetzt mit einem Who is Who der europäischen Improvisationsszene, darunter vier Pianisten bzw. Keyboarder, zwei Bassisten und zwei Vibraphonisten. Die elf Musiker schufen fesselnde Musik aus dem Moment. Dazu wählte Lillinger einen Bühnenaufbau, der es den Musikern erlaubte, sich kontinuierlich untereinander zu sehen. Für das Publikum wirkte das eher wie eine Trutzburg, in der sich die Musiker verschanzten und das Publikum ausschlossen. Der bedauernswerte Christopher Dell musste das gesamte Konzert mit dem Rücken zum Publikum spielen. Dieser Bühnenaufbau stand in einem vermutlich unbeabsichtigten ironischen Widerspruch zur Referenz auf Karl Poppers Offene Gesellschaft. Emotional geriet das Duo von Sängerin Norma Winstone und Pianist Pablo Held in Erinnerung an John Taylor, der lange in Köln als Musikprofessor wirkte, u.a. mit Pablo Held als Schüler, und der lange mit Norma Winstone zusammengearbeitet hatte. Die beiden nahmen sich Liedern an auf Basis von Kompositionen Taylors, die Norma Winstone mit Text versehen hatte. Winstone und Held wirkten verblüffend gut aufeinander eingestellt, wobei Winstone’s Stimme mit fast 80 deutliche Altersspuren zeigte. Als letzte Band traten Abel Selaocoe & Chesaba feat. Manchester Collective auf. Der komplizierte Name wies schon daraufhin, dass hier etwas zusammengfügt werden sollte. Selaocoe ist Cellist und Sänger aus Manchester, England, mit südafrikanischen Wurzeln, der sein Trio Chesaba, mit dem er afrikanische Musik macht, und das Streichquartett Manchester Collective, mit dem er Neue Musik spielt, kombinierte. Aus seiner Sicht war das nachvollziehbar, aber die beiden Teile fügten sich musikalisch für die Zuschauer nicht immer wirklich zusammen. Als Vollblut-Entertainer konnte Selaocoe das Publikum trotzdem für sich gewinnen. Die Wahl dieser Band als Abschluss des Festivals erschien etwas unglücklich, denn sie hatte weder einen Bezug zu Köln noch zu Themen des Festivals.
Die Stadt Köln, die seit langem mit Berlin um den Titel der deutschen „Jazz Hauptstadt“ konkurriert, hatte und hat zwar kleinere Festivals wie das KLAENG Festival und Winter Jazz oder vor Jahren das Audi Jazz Festival und die Cologne Jazz Night, aber ein wirklich großes Festival fehlte, das insbesondere den Reichtum der Kölner Szene widerspiegeln konnte. Janning Trumann hat als künstlerischer Leiter bewiesen, zu was Köln in der Lage ist, wenn alle an einem Strang ziehen, die Jazz-Szene, organisiert in der Kölner Jazz Konferenz als Interessenvertretung, mit Musikern und Veranstaltern und die Stadt, die das Festival ebenso wie einige Sponsoren großzügig förderte. Das Glück des Tüchtigen war hoch verdient. Genauso sollte es 2022 weitergehen.
Hans-Bernd Kittlaus