Wolf Kerschek Interview zu Wolfgang Schlüter

Fröhliches Requiem

pdf[1] (erschienen im Jazz Podium 3/2019)

© Steven Haberland 2018
Wolfgang Schlüter by © Steven Haberland 2018

Nach einem erfüllten und bis zuletzt aktiven Musikerleben verstarb der Vibraphonist Wolfgang Schlüter an seinem 85-sten Geburtstag am 12.11.18. Jetzt ist seine letzte Aufnahme als CD erschienen („For You“, Skip) mit seinem Quartett und Streichern, arrangiert und geleitet vom Hamburger Vibraphonist, Komponist, Arrangeur, Dirigent und Hochschulprofessor Wolf Kerschek (WK). JP Mitarbeiter Hans-Bernd Kittlaus (HBK) hat ihn interviewt.
HBK: Du hattest eine sehr langjährige Beziehung zu Wolfgang Schlüter?
WK: Ja, ich kannte ihn sehr lang. Meine erste Unterrichtsstunde am Vibraphon mit ihm hatte ich mit 17, also vor mehr als 30 Jahren. Ich habe dann bei Ihm an der Hamburger Musikhochschule studiert, wo er eine Professur hatte. Er hat seinen Studenten vorgelebt, was es heißt, Musiker zu sein. Er arbeitete damals sehr viel als Mitglied der NDR Big Band, als Professor und als aktiver Musiker, der häufig tourte. Trotzdem war er für uns Studenten immer ansprechbar und interessiert. Aus der Studienzeit heraus ist eine lebenslange freundschaftliche Beziehung entstanden. Ich habe ihn bewundert als genialen Musiker und geliebt als Mensch. Wie er bis in sein hohes Alter trotz aller Schicksalsschläge und gesundheitlichen Probleme auf höchstem Niveau Musik machte, ist mir ein Vorbild. Auf dieser CD hat unglaublich gut gespielt.
HBK: Wie kam es zu dieser Aufnahme mit Streichern?
Wir haben uns alle paar Monate getroffen. Als er mir sagte, dass es sein unerfüllter Lebenstraum sei, einmal eine Aufnahme seiner Kompositionen mit Streichern zu machen, begriff ich es als meine Aufgabe, das zu realisieren.
HBK: Das war sicher nicht so einfach.
WK: Ja, solche großen Projekte sind immer eine Herausforderung, vor allem finanziell. Wolfgang gewann 2017 den Hamburger Jazzpreis. Das Preisgeld war die Basis unserer Finanzierung. Ich habe selbst noch einiges dazu gebuttert. Durch Hilfe der Feldmann Kulturell/Hamburgische Kulturstiftung konnten wir das Projekt dann doch noch realisieren. Zum Glück hat Skip Records sich dann bereiterklärt, die Aufnahme auf CD zu veröffentlichen.
HBK: Wie seid Ihr vorgegangen?
WK: Wolfgang wollte auf keinen Fall so eine steife Streichergruppe, die nicht mit ihm swingen kann. Wir fanden die Streicher der Jungen Norddeutschen Philharmonie, die mit großer Offenheit an das Projekt gingen. Und wir konnten den renommierten Geiger Stefan Pintev dazu gewinnen, Workshops über Swing Strichtechnik mit den jungen Musikern in Vorbereitung auf die Aufnahmen zu geben. Wolfgang und ich haben dann die Stücke ausgewählt, und ich habe die Arrangements geschrieben. Wolfgang war in den letzten Jahren seines Lebens praktisch blind, konnte also keine Noten mehr lesen. Als er noch seine Sehkraft hatte, genügte ihm ein kurzer Blick aufs Notenblatt und er konnte mit seinem fotografischen Gedächtnis die Musik auswendig spielen. Das ging jetzt nicht mehr. Da ich ich mit ihm als Musiker und Mensch sehr vertraut war, fiel es mir nicht schwer, die Arrangements in seinem Sinne zu schreiben. Die Aufnahmen entstanden 2018. Aus tontechnischen Gründen haben wir die Stücke zunächst mit seinem langjährigen Quartett mit Boris Netsvetaev (Piano), Philipp Steen (Bass) und Kai Bussenius (Schlagzeug) aufgenommen, später die Streicher.
HBK: Es ist ein Phänomen, dass viele Jazz-Musiker davon träumen, mit Streichern zu arbeiten. Woher kommt das?
WK: Früher hat oft eine Rolle gespielt, dass damit die Anerkennung des Jazz durch die „Hochkultur“ verbunden wurde. Das spielt heute keine Rolle mehr. Heute geht es den Musikern um den Klang. Die Streicher können das Klangspektrum auf wunderbare Weise erweitern.
HBK: Ich habe den Eindruck, dass die Zusammenarbeit von Jazz-Musikern mit Streichern in den letzten Jahren häufiger zu guten Ergebnissen führt als in früheren Zeiten. Euer Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, andere sind das Strings-Projekt des Kölner Pianisten Lucas Leidinger oder vor einigen Jahren das Projekt von Don Friedman bei Jazz Baltica. Siehst Du das auch so?
WK: Ja, absolut. Ich denke, das hat vor allem mit der gewandelten Einstellung der klassischen Musiker zu tun. Es gibt bei jungen Musikern diesen „musikalischen Rassismus“ nicht mehr. Früher haben sich klassische Musiker „herabgelassen“, in der Subkultur mitzumachen, aber ohne Bereitschaft, sich auf die unterschiedlichen Anforderungen der Musik einzulassen. Heute sind sie viel offener und ohne hierarchisches Denken. Sie wünschen sich diese Freiheit.
HBK: Also goldene Zeiten für Dich als Arrangeur?
WK: Das kann man so sagen. Ich habe auf diese Veränderung lang gewartet. Jetzt bin ich so stark beschäftigt, dass ich täglich schreibe. Zum Vibraphonspielen komme ich nur noch punktuell, was nicht gut funktioniert, da das Instrument physisch sehr fordernd ist. Aber zum Jahresende will ich mich wieder in Form bringen.
HBK: Hat Wolfgang Schlüter noch die Aufnahmen hören können?
WK: Ja, er war bis zu seinem letzten Tag involviert. Der 12.11.18 war sein 85-ster Geburtstag. An dem Tag hat er noch letzte Sachen abgenommen. Am Abend ist er dann die Treppe runtergefallen und gestorben. So traurig es ist, es passt zu dem, wie er gelebt hat. Pflichtbewusst, diszipliniert, immer die Dinge zum Abschluss bringen. Es ist sehr schade, dass er beim Elbjazz-Eröffnungskonzert am 31.5.19 nicht mehr dabei sein wird. Er hatte sich sehr darauf gefreut, als amtierender Hamburger Jazzpreisträger im großen Saal der Elbphilharmonie zu spielen. Aber wir werden das Konzert mit vielen seiner musikalischen Freunde und großem Streichorchester als Tribut an Wolfgang machen, ohne Vibraphon, denn ihn kann niemand ersetzen.

Hans-Bernd Kittlaus

Wolfgang Schlüter Quartet + Strings: For You, Skip