Höhenflüge mit Ozone und Wollny
(erschienen im Jazz Podium 07/2018)
Mit zwölf Doppelkonzerten innerhalb von 16 Tagen zählt das Jazzfest Bonn in seiner neunten Ausgabe zu den größten Jazzfestivals in Deutschland. Die Konzerte waren erneut weitgehend ausverkauft, und die vielen Sponsoren halten dem Festival die Treue. Festivalchef Peter Materna und sein exzellentes Team sind inzwischen gut eingespielt und legen besonderen Wert auf die Vermittlung der Musik auch für ein Publikum, dass nicht ohnehin schon jazz-affin ist. Dazu dienen das schön gestaltete kostenlose Programmheft, das schon Monate vor Festivalbeginn verfügbar war, Flyer an jedem Konzertabend, Einführungsveranstaltungen vor Konzerten und die professionell-sympathische Moderation von WDR-Sprecher Thomas Heyer, der inzwischen zu einem Markenzeichen des Festivals geworden ist und eine Konstante bildet über die zehn sehr unterschiedlichen Spielstätten und ebenso unterschiedlichen Musikrichtungen hinweg.
Das Programm war breit gefächert von begeistert aufgenommener Dance Party Musik von Incognito und Ed Motta über die rockig-jazzige Country Musik John Scofields und Pop-Klänge von Nils Wülker oder Ulita Knaus bis zu Jazz im engeren Sinne. Der Erfolg gibt Programmplaner Materna natürlich Recht. Aber man muss zum einen konstatieren, dass seine Programmentscheidungen zwischen leichtgewichtiger Gefälligkeit à la Lyambiko und Julia Biel und hohem Kunstanspruch à la Martin Albrechts Scriabin Code, einer Multimedia Performance mit klassischer Pianistin und Jazzband nach Werken des russischen Komponisten Alexander Skrjabin, mitunter schwer nachvollziehbar sind. Zum anderen hat er einen veritablen blinden Fleck, auf den ausgerechnet eine Anzeige im Programmheft aufmerksam machte. Das amerikanische Jazz Magazin Downbeat hatte darin die letzten zehn Cover abgebildet, die zehn Portraitfotos von angesagten amerikanischen Jazz Musikern zeigten, darunter acht Afroamerikaner und mindestens vier, die ihre Musik zu politisch-sozialem Protest einsetzen. Keiner dieser zehn Musiker ist jemals beim Jazzfest Bonn aufgetreten.
Das diesjährige Festival sollte mit dem Damentrio SASKYA beginnen, doch Saxofonistin Anna-Lena Schnabel fiel krankheitsbedingt aus. So bestritten Pianistin Clara Haberkamp und Bassistin Lisa Wulff das Konzert überwiegend als Duo, was eine Reihe von guten Momenten brachte, solange sie nicht versuchten, die fehlende Dritte durch ein Mehr an recht seichtem Gesang zu ersetzen. Auch das Quartett von Posaunist Nils Landgren überzeugte instrumental, doch Landgren meinte, nahezu alle Stücke mit seinem vollkommen stimm- und ausdruckslosen Gesang versehen zu müssen. In seiner Band gefiel vor allem Pianist Eric Staiger mit guter Dramatik in seinen Solos und ebenso guter Begleitarbeit. Zu einem Highlight wurde der Set des schweizer Sängers Andreas Schaerer und seiner Band A Novel of Anomaly. Akkordeonspieler Luciano Biondini steuerte Melodien bei, die an Volksmusik angelehnt waren, Kalle Kalima Rockgitarrenanklänge und Schlagzeuger Lukas Niggli harten Jazz-Rhythmus. Darüber improvisierte Schaerer virtuos, mitreißend und ohne Scheu vor Risiko. Django Bates‘ Klaviertrio mit Bassist Petter Eldh und Drummer Peter Bruun kam erst gegen Ende ihres Auftritts richtig in Schwung. Zuvor wirkte die Musik seltsam zerfahren und erzwungen.
Bonn brachte eine Reihe von überzeugenden Duo-Auftritten auf die Bühnen. Pianist Richie Beirach und Geiger Gregor Hübner spielen schon viele Jahre zusammen, lange im Trio mit Bassist George Mraz, der inzwischen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dabei ist. Ihr Duo-Auftritt bewegte sich zwischen Klassik und Jazz mit brillianten Läufen und Improvisationen von beiden. Der belgische Gitarren-Altmeister Philip Catherine zeigte sich in glänzender Spiellaune im vertrauten Duo mit Bassist Martin Wind. Sie zelebrierten Melodien mit kammermusikalischer Anmutung, aber auch immer wieder mit gutem Swing. Inga Lühning hat sich als Sängerin über die letzten zehn Jahre exzellent weiterentwickelt. Sie lieferte gemeinsam mit Bassist André Nendza ein abwechslungsreiches unterhaltsames Programm von Eigenkompositionen bis hin zu Paul Simon’s „Graceland“. Pianistin Julia Hülsmann und Vibraphonist Christopher Dell traten erstmalig gemeinsam auf – eine glänzende Idee von Peter Materna. Sie spielten hauptsächlich eigene Stücke, die kompositorisch überzeugten, wobei Dell mehr als Hülsmann immer wieder Improvisation einstreute.
Christopher Dell drehte bei seinem zweiten Auftritt mit Wolfgang Haffners Quartett dann richtig auf. Gemeinsam sorgten sie für einen weiteren Festivalhöhepunkt. Der norwegische Gitarrist Lage Lund lebt schon seit vielen Jahren in USA. Er zeigte sich in Bonn als gefühlvoller und technisch guter Melodiker, der mit Bassist Matt Brewer und Schlagzeuger Justin Faulkner ein mitreißendes Trio bildete. Gitarrenstar John Scofield raute Country-Musik-Stücke bis hin zu Dolly Parton’s kitschigem „Jolene“ mit seinen ruppigen Gitarrenklängen auf. Bemerkenswert war dabei seine Band mit Gerald Clayton’s Groove an der Hammond Orgel, Vicente Archer’s solider Bassarbeit und Bill Stewart‘s überragendem Drumming. Niels Klein dirigierte das Bundesjazzorchester mit ihrem Programm zum einhundertsten Jubiläum der Bauhaus-Bewegung. Es wurden Videos von Filmemachern gezeigt, die der Bauhaus-Bewegung zugerechnet werden, wobei der inhaltlich-gestalterische Bezug der Filme zur Bauhaus-Philosophie für einen Nicht-Kunsthistoriker kaum nachvollziehbar war. Zu jedem Film hatte ein deutscher Jazz-Komponist von Ansgar Striepens über Julia Hülsmann bis Niels Klein der Nachwuchs Big Band ein Stück geschrieben. Daraus ergab sich ein faszinierendes Multimedia-Konzerterlebnis. Der norwegische Pianist Eyolf Dale zählt zu den großen europäischen Talenten für melodiebetonte Komposition und Arrangierkunst. Leider klebte sein Quintett zu sehr an den Noten und wurde den für größere Besetzungen geschriebenen Arrangements nicht gerecht. Pablo Held hatte für seinen Auftritt eine ungewöhnliche Besetzung gewählt mit seinem englischen Freund Kit Downes an der Hammond, Sean Carpio am Schlagzeug und Percy Pursglove an der Trompete. Daraus entstand ein spannender Sound mit exzellenten Solos besonders von Pursglove und Held.
Am Ende des Festivals standen einige herausragende Klaviertrios. Aaron Goldberg verzauberte das Publikum mit überraschenden Dynamikwechseln, heftigem Swing und brillianten Solos von ihm wie auch von Bassist Matt Penman und Schlagzeuger Leon Parker. Seine Stückeauswahl reichte von Ahmad Jamal’s „Poinciana“ bis zu brasilianischen Melodien. Der Reiz eines Festivals liegt nicht zuletzt darin, dass Sternstunden letztlich nicht planbar sind, aber umso schöner wenn sie eintreten. Als der japanische Pianist Makoto Ozone und sein Trio mit Bassist James Genus und Schlagzeuger Clarence Penn abhoben und ihr Publikum über 80 Minuten in den Sternenhimmel entführten, war die physisch-emotionale Reaktion des Publikums körperlich spürbar. Ein solches Maß an Interaktion, Spontaneität und musikalischer Schlüssigkeit auf höchstem Niveau erlebt man nicht oft. Ozone, der in seiner Karriere mit einem Who is Who der amerikanischen Spitzenjazzer von Gary Burton bis John Scofield gearbeitet hat, konzentrierte sich in den letzten zehn Jahren stärker auf klassische Musik. Vielleicht ist seine ungeheure Spiellust, die er in Bonn zeigte, darauf zurückzuführen. Oscar Peterson nannte das in seiner Autobiografie „The Will to Swing“. Auch der deutsche Pianist Michael Wollny zeigte sich in glänzender Form im Trio mit Bassist Christian Weber und Schlagzeuger Eric Schaefer. Dies war nicht der in klassische Sphären entrückte Träumer, sondern der handfeste Improvisator in bester Jazz-Tradition, der mehrfach in den Blues eintauchte. Er bewies verblüffende Kreativität über 90 Minuten.
Peter Materna und sein Organisationsteam werden vom 17. Mai bis 2. Juni 2019 die zehnte Ausgabe des Jazzfests mit ihrem Bonner Publikum feiern können. Es soll Überraschungen zum Jubiläum geben.
Hans-Bernd Kittlaus