JazzFest Bonn 2017

Vielseitiger denn je

pdf[1] (erscheint im Jazz Podium 07/2017)

© JazzFest Bonn – Lutz Voigtländer 2017
Andreas Schaerer by © JazzFest Bonn – Lutz Voigtländer 2017

Das Jazzfest Bonn brachte 2017 elf ausverkaufte Konzerte mit 21 Bands auf zehn verschiedene Bühnen im Bonner Stadtgebiet innerhalb von 16 Tagen. Festivalchef Peter Materna gestaltete sein Programm stilistisch breiter denn je, und das Publikum folgte ihm mit großer Begeisterung. Dabei half sicherlich der beispielgebende Ansatz, die Programminhalte noch besser als in den Vorjahren zu erklären mittels eines umfangreichen kostenlosen Programmhefts, das schon Monate vor dem Festivalbeginn verteilt wurde. Zum ersten Mal gab es drei Einführungsveranstaltungen vor Konzerten, die sehr gut angenommen wurden.

Ein weiteres Novum war ein Einzelkonzert, sonst hatte und hat das Jazzfest ausschließlich aus Doppelkonzerten bestanden. In der Bonner Oper spielte das Brad Mehldau Trio. Bassist Larry Grenadier und Schlagzeuger Jeff Ballard lieferten vom ersten Moment an volle New Yorker Energie, der Meisterpianist hingegen tastete sich zunächst vorsichtig mit kurzen Phrasen ins musikalische Geschehen. Erst nach etwa 20 Minuten fand er seinen Flow, aber dann gab es kein Halten im Fluss der Ideen und Stimmungen zwischen melodischer Schönheit und aufwühlenden Dynamikwechseln auf Basis seiner zumeist neuen Eigenkompositionen. Das Konzert wurde zu einer Sternstunde, in der die drei Musiker ihre große Vertrautheit durch langjähriges Zusammenspiel zu Höhenflügen der Gruppenimprovisation nutzten. Nach zwei Stunden und drei Zugaben, darunter Cole Poerter’s “It’s all right with me“ und Radiohead’s “Riverman“, verließen die Zuhörer die Oper erschöpft, aber glücklich.

Die stilistische Bandbreite des Festivals birgt für den Kritiker die Gefahr, Kategorienfehler zu begehen, also Kriterien eines Genres, des Jazz, auf Musik anzuwenden, die nicht wirklich Jazz sein will und soll. So spielte die Pianistin Julia Kadel, bereits mit dem ECHO Jazz ausgezeichnet, ein beeindruckendes Solo-Konzert. Ihre Musik ließ sich als klassische Musik mit Improvisationsanteilen beschreiben, es kamen also keine jazz-typischen Synkopen, Blue Notes oder Phrasierungen vor. Im Rahmen dieses klassischen Genres war es ein gelungenes Konzert. Ähnliches gilt auch für die Auftritte von Saxofonist Roger Hanschel mit dem Auryn Streichquartett und von Olivia Trummer und Jean-Lou Treboux im Beethovenhaus. Der britische Pianist Neil Cowley möchte die Musik seines Trios selbst lieber als Rock verstanden wissen und lieferte ein gelungenes Rock-Konzert mit einfachen Kompositionen und spielfreudiger Improvisation, die mit viel Energie und Lautstärke und eindrücklichem Beat gespielt wurden und das Publikum mitrissen. Die Band Jazzkantine brachte das eigentlich eher nüchterne Telekom Forum zum Tanzen und Kochen mit deutschem HipHop, der mit Rock-Elementen gemischt wurde.

Gesang bekam viel Raum in diesem Jahr. Jasmin Tabatabai hatte die gute Band des schweizer Saxofonisten David Klein dabei, in der vor allem Pianist Olaf Polziehn solistisch herausragte. Die Sängerin – früher hätte man sie eher als Diseuse bezeichnet – sang überwiegend deutschsprachige Songs und faszinierte mit ihrer schauspielgeschulten exzellenten Diktion, die die Texte bis in die letzte Reihe des großen Saals bestens hörbar machte. Bei fremdsprachigen Texten gelang ihr das nicht so gut. Die Norwegerin Rebekka Bakken kam mit nordischer Band und begeisterte ihre Fans mit ihrem typischen Stilmix aus Blues, Folk und Pop. China Moses präsentierte das Programm ihrer letzten CD “Nightingales“ mit Eigenkompositionen, die sie als Geschichtenerzählerin mit hohem Entertainment-Anteil interpretierte. Ihre Band mit exzellentem Klaviertrio unter Leitung ihres Musical Director Luigi Grasso zeigte sich in guter Spiellaune. Das Singer/Songwriter Programm der jungen norwegischen Sängerin und Bassistin Ellen Andrea Wang blieb dagegen recht blaß. Die brasilianische Sängerin Paula Morelenbaum brachte in ihrer Band die brasilianische Schlagzeugerin Christiane Gavazzoni mit den renommierten deutschen Musikern Joo Kraus an der Trompete und Ralf Schmid an Klavier und Keyboards zusammen. Die Musik war eine Mischung aus Bossa Nova und Samba mit Pop-Elementen, phasenweise interessant, aber letztlich weniger als die Summe ihrer Teile. Die Kölner Sängerin Laura Totenhagen kam mit ihrem guten jungen Klaviertrio mit Pianist Felix Hauptmann, Bassist Stefan Schönegg und Schlagzeuger Leif Berger und pressfrischer Debut-CD. Ihr Stil erinnerte deutlich an ihr Vorbild Norma Winstone, die britische Sängerin, die 2012 in Bonn aufgetreten war. Totenhagen sang mit mädchenhafter, aber doch kräftiger Stimme ohne Vibrato und erreichte mit ihrer Kopfstimme erstaunliche Höhen. Während sie auf ihrer Debut-CD eine Reihe von Kompositionen von John Taylor und Norma Winstone singt, bestand ihr Konzertprogramm weitgehend aus Eigenkompositionen, mit denen sie gekonnt Gedichte von Autoren aus aller Welt von der Chinesin Shu Ting bis Shakespeare vertonte. Die Schwedin Viktoria Tolstoy brachte Songs der Filmgeschichte aus ihrer aktuellen CD “Meet Me at the Movies“ zu Gehör. Sie bestach mit ihrer kräftigen variablen Stimme, aber emotional berührende Interpretationen gelangen ihr kaum, selbst bei dankbaren Songs wie “As Time Goes By“ oder “Calling You“ nicht. Rundum überzeugend geriet der Auftritt des schweizer Sängers Andreas Schaerer mit der Band Hildegard Lernt Fliegen, die sich unbekümmert vieler Elemente der Jazz-Geschichte bediente und zu einem mitreißenden witzigen Mix verband. Schaerer agierte als Primus inter Pares mit Wagemut und Souveränität. Bedauerlich dass die Band laut Schaerer ab Mitte 2018 eine zweijährige Pause einlegen will.

Die WDR Big Band unter ihrem neuen musikalischen Leiter, dem Saxofonisten Bob Mintzer, brachte den amerikanischen Vibraphonisten Mike Mainieri mit. Gemeinsam spielten sie ein gut arrangiertes erfrischend altmodisches Programm von Jazz-Klassikern, die wichtig für die musikalische Entwicklung des agilen fast 80-jährigen Mainieri waren. Niels Kleins Band Tubes & Wires gelang es, auf Basis ihrer akustischen Instrumente ein spannendes elektronisches Klangbild zu erzeugen. Ihre Musik ließ sich stilistisch eher als Rock und Indie beschreiben. Auch der amerikanische in Berlin lebende Gitarrist Kurt Rosenwinkel präsentierte mit seinem Trio Bandit 65 ein stark elektrisch geprägtes Rock Konzert mit sphärischen Klängen. Kein elektronisches Gitarrengedröhne gab es erfreulicherweise beim Electric Guitar Quartet von Bass-Legende John Patitucci. Angetrieben vom formidablen Schlagzeuger Nate Smith intonierten die Gitarristen Adam Rogers und Steve Cardenas sensiblen melodischen Jazz über den virtuosen Bassläufen Patituccis. Höhepunkt war eine Homage an B.B. King. Der Vibraphonist Christopher Dell spielte mit seinem DRA Trio virtuos und inspiriert komplexe eigene Kompositionen im Grenzgebiet zwischen Jazz und Neuer Musik. Bassist Christian Ramond und Schlagzeuger Felix Astor spielen seit fast 20 Jahren mit Dell zusammen. Das Konzert demonstrierte die Vorteile der resultierenden großen Vertrautheit auf das Schönste. Das Gegenteil, nämlich das Fehlen einer solchen Vertrautheit, war beim Auftritt des norwegischen Saxofonisten Marius Neset zu erleben. Neset spielte seine komplexen Kompositionen gewohnt virtuos und engagiert, aber sein englisches Trio klebte recht blaß an den Noten. Aus Italien kamen die Pianistin Rita Marcotulli und Akkordionist Luciano Biondini. Sie zelebrierten die Melodien ihrer italienischen Stücke auf berührende Weise. Saxofonist Heiner Schmitz konnte nach seinem Auftritt mit der Jazzkantine auch mit seiner eigenen Band Organic Underground überzeugen. Das Quintett mit dem etwas zu zurückhaltenden Ludwig Nuss an der Posaune spielte Groove Jazz, der auf Basis von Schmitz‘ melodischen Kompositionen in die Beine ging. Ein Highlight setzte Pianist Omer Klein mit seinem bestens eingespielten Trio mit dem gerade nach Berlin gezogenen Bassisten Haggai Cohen-Milo und Schlagzeuger Amir Bressler. Sie spielten das Programm ihrer aktuellen CD “Sleepwalkers“ mit viel Drive und Interaktion. Auch hier zeigte sich wieder der Gewinn aus langjährigem Zusammenspiel.

Peter Materna und seinem Organisationsteam ist erneut ein überzeugendes Festival gelungen. Materna ist ein begnadeter Netzwerker, der zahlreiche Bonner Unternehmen von Deutsche Telekom bis Deutsche Post DHL als Sponsoren an das Jazzfest gebunden hat. Die Vorstandsvorsitzenden Appel und Höttges kamen ebenso zu Konzerten wie der Schirmherr, der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan, der gleich drei Konzerte besuchte. Das demonstriert Verbundenheit. Die Nutzung von 10 verschiedenen Spielstätten, die umfangreichen Programminformationen (auch der Autor konnte einen Beitrag beisteuern) wie auch WDR-Sprecher Thomas Heyer als Ansager zeugen von einer durchdachten Konzeption, der schon seit 2010 Erfolg beschieden ist. Als Programmmacher hat sich Materna mit Bands wie dem DRA Trio, Laura Totenhagen und Hildegard Lernt Fliegen aus der Komfortzone herausgewagt. Und diese Wagnisse wurden vom Bonner Publikum angenommen. Vielleicht motiviert ihn das, 2018 noch mehr zu wagen, zum Beispiel Jazz als Musik des Protests gegen Ausgrenzung und Rassismus statt Rock und Klassik. In die Zeit passte das, auch in Bonn. 2018 soll das JazzFest Bonn wieder mit 11 Doppelkonzerten vom 26. April bis 12. Mai stattfinden.

Hans-Bernd Kittlaus 01.06.17