Spannende 50. Ausgabe des renommiertesten deutschen Festivals
In seinem zweiten Jahr als künstlerischer Leiter des Berliner Jazz Fests gelang Bert Noglik ein reizvoller Programmmix, der mit mehr als 6.300 verkauften Tickets and 93% Auslastung auf guten Publikumszuspruch stieß. Die Hauptbühne im Haus der Berliner Festspiele gehörte Großformationen, aufwändigen Großproduktionen und amerikanischen Stars, auf den kleineren Bühnen gab es Raum für Entdeckungen.
Am ersten Abend war Afrika ein Thema. Der Trompeter Christian Scott, gebürtig aus New Orleans, drückt seine Verbindung zu seinen afrikanischen Vorfahren durch den Namenszusatz „aTunde Adjuah“ aus. Seine Musik nennt er Stretch Music, ein Begriff, dessen Bedeutung sich im Konzert nicht so recht erschloss. Er brachte seine junge Band nach Berlin, aus der neben Scott Bassist Kris Funn und Pianist Lawrence Fields solistisch herausragten. Die Musik bewegte sich von aktuellem Urban Jazz über Mainstream Jazz, bei dem der Sopransaxofonist Richard Howell als Gast begeisterte, bis zu Soul Klängen mit Scott’s Ehefrau als Sängerin. Christian Scott gerierte sich übertrieben selbstbewusst, konnte aber musikalisch durchaus überzeugen. „Gnawa Jazz Voodoo“ mit Joachim Kühns Africa Connection war eine exklusive Großproduktion für das Jazz Fest, die von der Vorstellung des Films „Transmitting“ begleitet wurde, der eine Reise Kühns nach Marokko dokumentiert. Kühn hatte gute solistische Momente, aber insgesamt wirkte das Konzert überladen mit zwei folkloristisch gewandeten Gnawa, zwei westafrikanischen Perkussionisten, Kühns Trio und Tenorsaxofonist Pharoah Sanders, der im Sound Mix gegen die Perkussionsübermacht unterging. Das anschließende Nachtkonzert wurde als „Joachim Kühn & Friends“ angekündigt, was eine Besetzung aus seiner Leipziger Zeit suggerierte. Tatsächlich war die Besetzung im Wesentlichen die gleiche wie im Hauptkonzert minus Sanders plus Hans Lüdemann am Klavier, der Kühn die Möglichkeit gab, Saxofon zu spielen. Ilona Haberkamp führte im Klub A-Trane ihre gelungene Homage an die Pianistin Jutta Hipp auf, Gebhard Ullmann spielte erstmals seine avantgardistische Berlin Suite im Haus der Künste.
Der zweite Abend begann mit dem Projekt Big Circle des Klarinettisten Michael Riessler. Dabei stand der Drehorgel-Spieler Pierre Charial im Mittelpunkt, der seinem Instrument anspruchsvolle moderne Klänge entlockte. Da er aber naturgemäß nur das vorgestanzte Material abspielen konnte und auch der Bläsersatz meist eng am Auskomponierten blieb, entstand eine gewisse Starrheit, die Riesslers mit schönem Ton gespielten Improvisationen nicht vergessen machen konnten. Jack DeJohnette gilt heute als lebende Legende des Schlagzeugspiels. Er brachte seine Gruppe mit Don Byron an Klarinette und Tenorsaxofon mit, die mit Keyboarder George Colligan und E-Bassist Jerome Harris einem elektronisch-rockigen Sound frönte. Höhepunkt war ein inspiriertes Solo Colligans am Flügel. Ins Nachtkonzert brachte der junge Schlagzeuger Jaimeo Brown sein Transcendence Projekt, das traditionellen Gospel-Gesang mit HipHop Sounds und energiegeladenem Urban Jazz verband. Stand auf seiner gleichnamigen CD der Gesang stärker im Vordergrund, beschränkte sich Brown im Konzert auf gelegentliche Gesangseinspielungen und ließ den Brüdern Chris und Kelvin Scholar viel Raum, die sich mehr als DJs denn als Gitarrist und Pianist betätigten. In Verbindung mit J.D. Allen’s bluesigem Saxofon und Brown’s High Power Drumming entstand eine faszinierende Mischung aus zeitgenössischer Black Music und Tradition. In der Akademie der Künste wurde der 80. Geburtstag von Ernst Ludwig Petrowski (vor-)gefeiert mit gleich drei seiner Bands, von denen insbesondere das Zentralquartett begeisterte.
Der dritte Abend brachte auf der Hauptbühne der Berliner Festspiele ein Kontrastprogramm mit Michael Wollny’s Wunderkammer XXL, kongenial aufgeführt mit der Cembalistin Tamar Halperin und der hr Big Band, und der amerikanischen Party-Band Abraham Inc., die mit Klarinettist David Krakauer, Posaunist Fred Wesley und DJ Socalled Klezmer, Funk und HipHop zu einer Mischung verband, die das ansonsten eher steife Publikum zum Tanzen brachte. Bassist Riccardo del Fra präsentierte sein Chet Baker Tribute im A-Trane, Trompeter Terence Blanchard blies sich im Quasimodo die Seele aus dem Leib und dominerte das etwas blasse polnische Trio, in dem nur Pianist und Leiter Michal Wroblewski solistisch überzeugen konnte. Posaunist Nils Wogram erhielt den Albert-Mangelsdorff-Preis, auch Deutscher Jazzpreis genannt, und bedankte sich mit einem kurzen Solo-Konzert im Gedenken an den Namensgeber des Preises. Das Proverb Trio des kubanisch-New Yorker Schlagzeugers Dafnis Prieto bot ein mitreißendes Konzert, in dem Prieto mit dem hohen technischen wie musikalischen Niveau seines Schlagzeugspiels ebenso überzeugte wie der vom Rap kommende Sänger Kokayi mit seinem Improvisationstalent. Dagegen hielt sich Keyboarder Jason Lindner ungewöhnlich zurück. Zum Abschluss des Festivals zeigte die Monika Roscher Bigband einen spannenden deutschen Ansatz zur Mischung zeitgenössischer Musikstile, bevor John Scofield mit seiner Überjam Band einen inspirierten amerikanischen Mix zusammenkochte. Im Quasimodo gab es dazu die britische Variante mit den Sons of Kemet des Saxofonisten Shabaka Hutchings, der energiegeladen karibische Klänge und Free Jazz verband.
Das nächste Berliner Jazz Fest wird vom 30. Oktober bis 2. November 2014 das 50-jährige Jubiläum feiern. Organisatorisch gibt es Raum für Verbesserungen. So sollten angesichts des hohen Subventionsgrades des Festivals preisgünstige Schüler- und Studentenkarten für alle Konzerte wieder im Vorverkauf verfügbar gemacht werden. Außerdem sollte die Nebenbühne im Haus der Festspiele wieder bestuhlt werden, denn jüngere Leute kommen nicht deswegen, weil keine Stühle da sind, aber ältere – die Mehrheit – bekommen körperliche Probleme. Und schließlich braucht es Tontechniker auf der Hauptbühne, die einen guten Jazz Sound für die große Mehrzahl der Plätze zustande bringen. Dass das geht, bewies John Scofield’s Tonmann im Abschlusskonzert. Mit seiner Programmarbeit ist Bert Noglik auf dem richtigen Weg, das Berliner Jazz Fest wieder zu einer auch weltweit relevanten Adresse zu machen.
Hans-Bernd Kittlaus 15.11.13