The Hague Jazz Festival 2010
Großer Jazz in kleinerem Rahmen
Die Bürger von Den Haag, die ihre Stadt immer als Zentrum des Jazz in den Niederlanden gesehen hatten, waren schwer erschüttert, als „ihr“ North Sea Jazz Festival 2006 nach Rotterdam umzog, weil ein bevorstehender Umbau des Den Haager Kongreßzentrums die Zuschauerkapazität halbierte. Den Haag kompensierte die Verkleinerung damit, dass das Kongreßzentrum ganz bescheiden in World Forum umbenannt wurde. Schon 2006 rief man ein neues Festival, das The Hague Jazz Festival am gleichen Ort ins Leben. Seitdem findet dieses Festival alljährlich jeweils am zweiten Juni-Wochenende statt. 2010 wurde zwei Tage lang auf 12 Bühnen Jazz und verwandte Musik vom Feinsten geboten. Mit Till Brönner und dem Pablo Held Trio war auch die deutsche Jazz-Szene vertreten.
Der Autor besuchte das Festival nur am ersten Tag, der mehr Jazz bot, während der zweite Tag Pop-lastiger war. Das Jazz Orchestra of the Concertgebouw aus Rotterdam hatte die Altmeister Jimmy Heath und Benny Golson zu Gast. Heath, der gerade seine lesenswerte Autobiographie veröffentlicht hatte, genoss es sichtlich, dass seine zeitlosen Arrangements von diesem kompetenten Orchester gespielt wurden und trug einige gelungene Solos auf seinem Tenorsaxofon bei. Randy Weston spielte einen inspirierten „Greatest Hits“-Set mit seinem Trio mit dem „perkussiven“ Bassisten Alex Blake und dem vielseitigen Perkussionisten Neil Clarke, wobei sein ‚Berkshire Blues’ besonders unter die Haut ging. Steve Turré, schon seit Jahrzehnten einer der eindrucksvollsten Posaunisten des Jazz, kam mit seiner New Yorker Band mit Saxofonist Billy Harper. Die beiden teilen eine tiefe spirituelle Orientierung, die sich in ihrer Musik widerspiegelt. Die starke Rhythm Section mit Pianist Xavier Davis legte ein swingendes Fundament, auf dem Turré und Harper höchst inspiriert und druckvoll bliesen. Auch wenn Turré zu seinen spektakulären Muscheln griff, blieb das immer hochmusikalisch. Wayne Shorter hatte einen guten Tag erwischt und ließ sich von seiner bestens eingespielten Band mit Danilo Perez, John Pattitucci und Brian Blade zu einigen gelungenen Improvisationen tragen. Tenorsaxofonist Eric Alexander machte das Beste aus der kurzfristigen Absage von Posaunenlegende Curtis Fuller und bot einen mitreißenden Mainstream Set, bei dem der junge niederländische Pianist Peter Beets exzellent harmonierte mit Bassist Reuben Rogers und Schlagzeuger Greg Hutchinson. Der lange Abend fand ein würdiges Ende mit den Tenoristen Houston Person und Red Holloway begleitet vom Rein de Graaff Trio. Persons majestätischer Ton dominierte den Set, während Holloway gewisse altersbedingte instrumentale Unsicherheiten durch unterhaltsamen Blues Gesang ausglich.
Das Den Haager Festival versucht gar nicht erst, mit North Sea mitzuhalten. Trotzdem fällt der Vergleich nicht schlecht aus für Den Haag: Ein internationales Publikum wird nicht gesucht (das kostenlose Programmheft und die Ansagen sind nur in holländisch), alles ist intimer, weniger kommerziell, mitunter auch etwas weniger perfekt als North Sea. Den Haag hat einen stärkeren Schwerpunkt auf kleineren Mainstream Gruppen, die in Rotterdam in den letzten Jahren unterrepräsentiert sind. Der Eintritt ist deutlich preiswerter, die Hotels nehmen keine überzogenen Preise. Und trotzdem erreichte Den Haag 23.000 Besucher an den zwei Tagen versus 70.000 an den drei Rotterdamer Tagen. Alles in allem keine schlechte Alternative zum großen North Sea Jazz Festival, oder vielleicht besser eine gute Ergänzung.
Hans-Bernd Kittlaus