Jazz Festival auf dem Kreuzfahrtschiff
Als die Grammies am 26. Januar in Los Angeles vergeben wurden, hatte die M/S Eurodam der HollandAmerica Reederei gerade den Hafen von Fort Lauderdale in Florida verlassen. Die Jazz Cruise, das schwimmende Jazz Festival auf einem Kreuzfahrtschiff, konnte beginnen. In den folgenden sieben Tagen spielten an Bord mehr aktuelle und ehemalige Jazz Grammy Gewinner, als in Los Angeles dabei gewesen waren. 2.000 Passagiere erlebten ein Who is Who des amerikanischen Mainstream Jazz, das seinesgleichen sucht. Trompeter Randy Brecker hat im Laufe seiner Karriere schon so viele Grammies gewonnen, dass er seinen erneuten Gewinn ganz entspannt an Bord feierte. Der Shooting Star des Jazz Gesangs Gregory Porter hingegen wollte seinen ersten Grammy in Los Angeles persönlich in Empfang nehmen und kam daher mit seiner Band erst mit einiger Verspätung in Puerto Rico aufs Schiff.
Die SängerInnen
Überhaupt war der Jazz-Gesang ein Schwerpunkt dieser Cruise. Während Porter’s preisgekrönte CD „Liquid Soul“ durchaus cross-over Potential in Richtung Pop, Soul und R’n’B hat, ließ er bei seinen fünf Sets auf dem Schiff keinen Zweifel an seiner Jazz-Ausrichtung. Sang er einen Song wie „No Love Dying“ mehrfach, dann in höchst unterschiedlichen Interpretationen. Seine Darbietungen von Standards wie „My Funny Valentine“, oft nur in Begleitung seines Pianisten Chip Crawford, waren herzzerreißend und erinnerten an seine Vorbilder Joe Williams (dessen Witwe an Bord war) und Arthur Prysock. Der gebrechlich wirkende legendäre Impresario George Wein war extra auf das Schiff gekommen, um Porter aus der Nähe zu erleben, und wirkte sichtlich begeistert von dessen beseelter Stimme und sympathischer Bühnenpräsenz. Interessant war der unmittelbare Vergleich mit Kurt Elling, dem herausragenden Jazz Sänger der letzten Jahre. Elling zeigte sich als der variablere Sänger, der gleichermaßen in swingenden Arrangements mit der Cruise Big Band glänzte (die Michael Abene für seine Auftritte mit der WDR Big Band geschrieben hatte) wie auch in Late-Night-Sets mit seiner Band, in der Gary Versace am Klavier und der blutjunge Schlagzeuger Bryan Carter herausstachen. Diese Mischung von vokaler Experimentierfreude, intellektueller Programmgestaltung und Coolness prägten schon seine legendären Auftritte in Chicago’s Green Mill. Das kam brilliant rüber, aber auch mit einer gewissen kalten Distanziertheit im Unterschied zur emotionalen Wärme Porters. Der geplante gemeinsame Auftritt der beiden Sänger mit der Big Band fand leider nicht statt, die Herren schienen sich aus dem Weg zu gehen. Ann Hampton Callaway war schon häufig auf der Jazz Cruise dabei und wurde diesmal gemeinsam mit Schlagzeuger Jeff Hamilton in die Jazz Cruise Hall of Fame aufgenommen. Die in Deutschland wenig bekannte Sängerin zeigte ihre Vielseitigkeit mit ihrem exzellenten Trio mit Pianist Ted Rosenthal, Bassist Martin Wind und Schlagzeuger Tim Horner. Eindrucksvoll war ihr neuer Sarah Vaughan Tribute, in dem sie mit klassisch geschulter Stimme Songs wie „Send in the Clowns“ oder „Mood Indigo“ interpretierte, die mit der Divine Sarah verbunden waren, aber auch ihr Nightclub Set, in dem sie alle Liedtexte improvisierte und ihr unterhaltsames loses Mundwerk einsetzte. Mit der Big Band sang sie überwiegend Standards, darunter die bewegendste Version von „Over the Rainbow“ diesseits von Judy Garland. John Pizzarelli hatte viele Fans an Bord, die seine Mischung aus American Entertainment, gutem Gitarrenspiel und mäßigem Gesang schätzten. Manhattan Transfer brachte ihre bekannten ausgefeilten Arrangements zwischen Pop und Jazz, aber nach 42 Jahren haben die Stimmen von Tim Hauser oder Alan Paul doch deutlich gelitten. Altmeister Freddy Cole bestritt an den meisten Abenden die After-Hours Session im nach ihm benannten Freddy’s Club, der zum Musiker-Treffpunkt wurde. Trotz körperlicher Gebrechlichkeit wirkte der Sänger stimmlich fit und zelebrierte lässig amerikanische Standards. Um Nnenna Freelon ist es in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden. Auf der Cruise bewies sie ihre Klasse als „Song Stylist“, wie Nancy Wilson diese auf emotionale Ausdruckskraft gerichtete Art des Singens nennt. Ein wesentlicher Teil ihres Programms war Lena Horne gewidmet, einem wichtigen Rollenmodell für schwarze Frauen in USA im zwanzigsten Jahrhundert. Freelon’s Interpretation von „Stormy Weather“ führte zu stehenden Ovationen.
Weitere Highlights
Sehr stark war auch die Trompete besetzt. Terell Stafford befeuerte das Quintett der Clayton Brothers mit einer Kraft, die an Freddie Hubbard in den 60er Jahren erinnerte. Erstaunlich wie bereitwillig die Jung-Stars Gerald Clayton am Klavier und Obed Calvaire am Schlagzeug sich auf den Hardbop der „alten Herren“ einließen. John Clayton steuerte mit seinem Bass elegant das Geschehen. Sean Jones, der ehemalige Lead Trompeter des Lincoln Center Jazz Orchestras, spielte einige herausragende Soli in der Band von Marcus Miller, die ansonsten mit sehr jungen vielversprechenden Musikern besetzt war, etwa dem 21-jährigen Brett Williams an Klavier und Keyboard, Louis Cato am Schlagzeug und dem Altsaxofonisten Alex Han. Miller passte sein Programm stark an die Mainstream Ausrichtung des Festivals an – „eine gute Gelegenheit für die jungen Musiker, die Standards richtig zu lernen“ – und spielte seinen E-Bass so melodisch wie eine Gitarre. Arturo Sandoval wirkte in einigen All Star Sessions und in der Big Band mit. Für einige kubanisch temperamentvolle Soli reichte die Kraft, ansonsten begeisterte er als Pianist und Entertainer. Grammy Gewinner Randy Brecker war in bester Spiellaune und genoss die Reise mit Ehefrau Ada Rovatti und Familie.
Am Klavier flog Renee Rosnes inspiriert über die Tasten und setzte Highlights im Trio von Schlagzeuger Lewis Nash. Ihr Ehemann Bill Charlap spielte im eigenen Trio mit Bassist Peter Washington und Schlagzeuger Kenny Washington recht unterschiedliche Sets, darunter zwei, die zu dem besten gehörten, was dieser Rezensent seit den Tagen von Tommy Flanagan, Sir Roland Hanna und Hank Jones von Klaviertrios gehört hat. Es trug deutlich zur Inspiration der Band bei, dass Musiker wie John Clayton, Obed Calvaire und Jeff Hamilton in der ersten Reihe saßen. Hamilton ist sicher einer der besten Schlagzeuger der Welt, aber sein Trio mit Pianist Tamir Hendelman und Bassist Christoph Luty wirkte etwas ausgelaugt. Vielleicht ist nach vielen gemeinsamen Jahren eine personelle Neubesetzung überfällig. Benny Green war als Ersatzmann für den verstorbenen Cedar Walton dabei und spielte eine Homage an den Verstorbenen mit dessen Band mit dem wunderbaren David Williams am Bass. Green brillierte mit variablem immer swingenden Spiel und erhielt große Wertschätzung von den anderen Pianisten an Bord. Dick Hyman sah man seine 85 Jahre wahrlich nicht an. Er erwies sich noch immer als Meister des Stride Pianos und stahl den übrigen Pianisten in einem Piano-Solo-Konzert eindeutig die Show, begeisterte aber auch im Duo mit Klarinettist Ken Peplowski. Zum Inventar jeder Jazz Cruise gehört der ausgezeichnete Pianist und Musical Director Shelly Berg, der in einem Vortrag demonstrierte, warum er zu den meistgepriesenen Musiklehrern der USA zählt. Auch der unverwüstliche Houston Person war wieder dabei, der letzte der Texas Tenor Saxofonisten, der nicht überraschend Illinois Jacquet als frühes Vorbild nannte und mit seinem fetten Sound amerikanische Standards veredelte. Und an der Posaune faszinierten die so unterschiedlichen Wycliffe Gordon und John Allred, der eine mit ausdrucksstarken Growl-Tönen, der andere weich und elegant, in den All Star Sessions ebenso wie Antonio Hart am Saxofon.
Schon seit den 1980er Jahren gibt es Jazz Cruises, also Kreuzfahrten mit Jazz Festivals an Bord. Mussten sich in den ersten Jahren Jazz Fans das jeweilige Schiff mit anderen Passagieren teilen, begann Entertainment Cruise Productions der Familie Lazaroff vor 13 Jahren, immer das komplette Schiff für eine Jazz Cruise zu chartern. Das hat für Passagiere und Musiker den Vorteil, dass der Jazz das ganze Schiff dominiert und die Jazz-Begeisterten unter sich sind. Die Organisation war ziemlich perfekt, auch wenn es einige Patzer gab, etwa die Nichtkommunikation der verspäteten Anreise von Gregory Porter, die Durchführung einer Gospel Hour am Swimming Pool oder unnötiges Parallelisieren von Konzerten. Doch angesichts des musikalischen Reichtums der sieben Tage ließ sich das verschmerzen. Der Vorverkauf für die nächste Cruise vom 25. Januar bis 1. Februar 2015 hat schon begonnen.
Hans-Bernd Kittlaus 02.03.14