Nicolas Simion

7Dreams – ein musikalisches Leben

pdf[1](erschienen 03/2014)

7Dreams – diesen poetischen Namen wählte Nicolas Simion, als er 2004 sein eigenes Label gründete: „7 ist eine Glückszahl in vielen Kulturen, und Dreams – tja, als Musiker und als Mensch hat man viele Träume. Einige davon wollte ich auf diesem Label realisieren.“ Zum zehnjährigen Jubiläum bietet sich eine Rückschau auf die bisherigen 16 Veröffentlichungen und eine Vorschau auf die geplanten Neuerscheinungen an.

Nicolas Simion ist ein freundlicher eher zurückhaltender Gesprächspartner. Gaben in früheren Zeiten sein schwarzer Vollbart und sein ebenso schwarzer wild gelockter Haarschopf Hinweise auf seine Herkunft, so deutet heute nur noch seine sympathische Sprachfärbung auf seine rumänischen Wurzeln. Simion wurde 1959 in einem kleinen Dorf in den Karpaten geboren. Er wuchs mit rumänischer Volksmusik auf und studierte dann in Brasov und später an der Musikhochschule Bukarest klassische Musik. Sein Interesse an improvisierter Musik wuchs. „Es gab einige gute rumänische Jazz-Musiker, vor allem Richard Oschanitzky und Jancy Körössy. Das waren beides Pianisten und Komponisten und große Vorbilder für uns junge Musiker. Zu Ceaucescus Zeiten hatten wir leider wenig Zugang zu amerikanischem Jazz. Von Jazz-Musik allein konnte man in Rumänien kaum leben. Richard Oschanitzky verdiente viel Geld mit Filmmusik, hatte aber persönliche Probleme und verstarb schon 1979 mit 40 Jahren. Viele andere emigrierten.“

Davon profitierte Deutschland schon früh. So waren etwa Pianist Eugen Cicero und Posaunist, Arrangeur und Bandleader Peter Herbolzheimer gebürtige Rumänen. 7Dreams brachte die Doppel-CD „Memorial Richard Oschanitzky“ (7D-103) mit Aufnahmen des rumänischen Rundfunks aus den Jahren 1966 bis 1971 als Wiederveröffentlichung heraus. Sie zeigen die Nähe Oschanitzkys zur klassischen Musik mit Bach-Kompositionen, aber auch meisterliche Modern Jazz Aufnahmen wie „Don’t Be Sad“ oder „Neurasia“, die noch heute keineswegs veraltet klingen, sowie Third Stream Experimente, teilweise mit Symphonieorchestern. Dazu Simion: „Ich habe Oschanitzky noch persönlich erlebt, allerdings nur in einer Bar in Bukarest, wo er regelmäßig hinkam und Runden für seine Freunde gab. Für uns junge Jazz-Musiker interessierte er sich nicht mehr.“

In den 1980er Jahren gründete Simion die Band Opus 4, die schnell zur erfolgreichsten Jazz Band Rumäniens wurde. Simion: „Mein Hauptinstrument für Jazz ist schon das Tenorsaxofon. Aber für stärker osteuropäisch orientierte Musik klingen oft andere Instrumente besser, etwa Klarinette, Tarogato, Flöten (Kaval) oder auch das Sopransaxofon.“ Der Erfolg gab ihm Gelegenheit, auf Festivals im Ausland aufzutreten. So reifte der Entschluss zu emigrieren. 1988 ging Simion über Warschau und Budapest nach Wien. „Die ersten Jahre waren schwer. Ich musste die Sprache richtig lernen und mich auch musikalisch neu orientieren.“ Das gelang ihm bestens. Peter Wiessmüller nahm ihn für das enja-Sublabel Tutu unter Vertrag, und 1992 kam die erste CD „Black Sea“ unter eigenem Namen heraus, eingespielt mit einer Band exzellenter amerikanischer Musiker in Wien, unter anderem Graham Haynes und Lonnie Plaxico. Im selben Jahr brachte Wiessmüller ihn mit dem legendären amerikanischen Pianisten Mal Waldron zusammen, der einen Ersatz für den verstorbenen Saxofonisten Jim Pepper in seinem Quartett brauchte. Simion spielte 6 Jahre mit Waldron sowohl im Quartett wie auch im Duo. Simion sog amerikanischen Jazz auf, holte in gewisser Weise nach, was ihm in Rumänien nicht möglich gewesen war. Parallel zur Zusammenarbeit mit Waldron entstanden weitere Aufnahmen unter eigenem Namen mit amerikanischen Musikern. Aber auch das osteuropäische Element kam nicht zu kurz, etwa in der fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem polnischen Trompeter Tomasz Stanko. Ebenso hatte Simion Erfolge als Komponist zeitgenössischer klassischer Musik und sakraler Werke. „Ich war immer sehr vielseitig. Außer Oper und Dixieland habe ich alles gespielt. Aber am stärksten bin ich zu Hause in der Verbindung von Jazz mit osteuropäischen Klängen. Da fühle ich mich wirklich frei in der Musik.“ Das ist auf zahlreichen 7Dreams Produktionen zu erleben, etwa auf „Magic Drops“ (7D-110), auf „Romanian Dance“ (7D-105) oder auf der DVD „Transsylvanian Grooves“ (7D-DDD-104), alle in Zusammenarbeit mit Pianist Florian Weber, der gerade erst einen Jazz-ECHO gewonnen hat. Auch die exzellente CD „Transsylvanian Jazz“ (7D-111) aus dem Jahr 2009, die damals alle Jazz Podium Abonnenten erhielten, ist jetzt in leicht veränderter Zusammenstellung neu erschienen. Die gerade auf Bigband Records erschienene CD „Balkan Jazz“ dokumentiert Simions Konzert mit der WDR Big Band im Jahre 2004.

Als sich seine Arbeit immer mehr nach Deutschland verlagerte, siedelte er 1997 nach Köln um, wo er noch heute lebt, lehrt und spielt. Das brachte ihn zusammen mit Musikern aus der reichen Kölner Jazz-Szene, mit denen er in den Folgejahren viel zusammenarbeitete, etwa Gitarrist Norbert Scholly oder Bassist Martin Gjakonovski. Er hat noch immer enge Kontakte nach Rumänien, wo er regelmäßig seine Mutter und seine Schwester besucht und Konzerte gibt, vor Kurzem noch mit seiner deutschen Band. „Die ökonomische Situation in Rumänien bedingt, dass Tourneen nur möglich sind, wenn Fördergelder dafür bereitgestellt werden.“ Wie sieht die Jazz-Szene in Rumänien heute aus? „Es gibt ein interessiertes Publikum, aber sehr wenige Jazz-Musiker auf professionellem Niveau. Gute Musiker wenden sich eher kommerziellerer Musik zu oder wandern aus.“ Trotzdem hat Simion schon rumänische Musiker identifiziert, die er auf 7Dreams herausbringen will.

Gern besinnt sich Simion auf die musikalischen Vorbilder seiner rumänischen Jugend. Pianist Jancy Körössy emigrierte schon 1968 über Köln nach Atlanta. Trotz seiner herausragenden Fähigkeiten gelang es ihm aber nicht, in USA Fuss zu fassen. Auf der Doppel-CD „American Impressions and Romanian Landscapes“ (7D-113) sind zwei Piano-Solo-Live-Aufnahmen enthalten. 1972 spielte Körössy an der University of Georgia ein Programm, das überwiegend aus amerikanischen Standards bestand, von „Love Story“ über ein swingendes „Misty“ und „Ain’t Misbehavin’“ in Stride-Version bis zu „All the things you are“. Er zeigte sich als klassisch geprägter Pianist, der aber zu swingen wusste und die amerikanische Jazz-Historie gut kannte. 1975 bot er im bekannten Club E.J. in Atlanta ein Programm aus Eigenkompositionen, das ihn als Klangmaler mit romantischen und impressionistischen Anklängen zeigte. Nach 30 Jahren kehrte er schließlich nach Rumänien zurück. Simion: „Als Jancy Körössy zurückkehrte, bekam ich endlich Gelegenheit mit diesem Idol meiner Jugend zusammenzuarbeiten.“ Davon zeugen einige CDs, unter anderem die gerade erschienene Aufnahme des Jancy Körössy / Nicolas Simion Quartet „Live in Brasov“ (7D-116) aus dem Jahre 2001 mit Eigenkompositionen der beiden und Interpretationen, die als Straight-ahead Modern Jazz einzuordnen sind. Das beginnt mit Körössys groovendem „Blues for Garay“ und geht über den Mid-Tempo-Swinger „Meditation“ mit Simions muskulösem Tenor-Sound zu seinem „Romanian Boogie“, dem einzigen Titel der CD mit offensichtlichen osteuropäischen Klängen und einem traumwandlerischen expressiven Solo Simions über dem Walking Bass von Johannes Fink und der kreativen Rhythmusarbeit von Schlagzeuger Peter Perfido. Zwischendrin gedenkt Körössy, der 2013 verstarb, gefühlvoll Oscar Peterson.

Es ist immer wieder verblüffend zu erleben, wie souverän und virtuos der Multi-Instrumentalist Simion sein großes Spektrum von Blasinstrumenten beherrscht und sich den unterschiedlichsten musikalischen Situationen anpassen kann. Neben der Verbindung von Jazz und osteuropäischer Musik schlägt Simions Herz auch für die Verschmelzung von Klassik und Jazz. Nach der Duo Aufnahme mit Florian Weber „Classic Meets Jazz vol. 1“ (7D-108) mit Stücken von Bartok und Debussy neben Eigenkompositionen und der Doppel-CD „Classic Meets Jazz“, mit dem Streichorchester Brasov 2010 eingespielt, ist jetzt die humorvoll betitelte CD „Classic Needs Jazz vol. 2“ (7D-112) erschienen. Sie enthält zwei umfangreichere Werke Simions. „Canzonieri Sacrale for Chamber Ensemble and Jazz Combo“ spielte er 1999 live in Wien ein. Dazu Simion: „Wenn religiöse Musik unsere Sehnsucht nach dem Transzendentalen beantwortet, dann fragen wir uns, wie und mit welchen musikalischen Mitteln dieser Bedarf in der Geschichte der Menschheit erfüllt wurde und wie wir sie heute gestalten können.“ Dazu bedient Simion sich eines breiten Spektrums von zeitgenössischer Klassik bis Free Jazz. Besonders beeindruckt Simions lyrisches Sopransaxofon in „Hymn“. Die „Echoes for Rasinari“ Suite for String Orchestra and Jazz Combo wurde 2007 in Sibiu, Rumänien, mit dem Philharmonischen Orchester von Sibiu eingespielt. Selten ist es einem Künstler gelungen, Gunter Schullers Third Stream Konzept der Verbindung von Jazz und Klassik so integrativ und hörenswert umzusetzen.

Nicolas Simion möchte die Produktionen von 7Dreams in Deutschland wie auch international intensiver vertreiben. Und er hat Pläne: „Es gibt eine wunderbare Fernsehaufnahme des Mal Waldron Quartet aus dem Kölner Subway, die der WDR damals gemacht hat. Die möchte ich als DVD herausbringen.“ Außerdem hat er weitere Duo- und Quartett-Aufnahmen mit Waldron in seinem Archiv, die auf CD erscheinen sollen. 7Dreams verfolgt offensichtlich nicht die übliche Veröffentlichungspolitik von Labels, die nur ganz neue Aufnahmen oder Wiederveröffentlichungen von bereits kommerziell verfügbaren Aufnahmen herausbringen. Hier geht es vielmehr um die Dokumentation eines musikalischen Lebens. „Ich habe nie geheiratet und eine Familie gegründet. Ich wusste immer, dass Musik für mich an erster Stelle steht. Das ist mein Leben.“ Ein Leben, das hoffentlich noch lang und kreativ und vielfältig wie bisher weitergeht. Dazu meint Nicolas Simion: „Im Moment habe ich wieder große Lust auf richtigen Straight Ahead Jazz.“

Hans-Bernd Kittlaus

Web: www.nicolassimion.com

Ausgewählte CDS:
• Richard Oschanitzky: Memorial, 7Dreams 7D-103
• Jancy Körössy: American Impressions and Romanian Landscapes, 7Dreams 7D-113
• Jancy Körössy / Nicolas Simion Quartet: Live in Brasov, 7Dreams 7D-116
• Nicolas Simion: Classic Needs Jazz vol. 2, 7Dreams 7D-112
• Nicolas Simion: Magic Drops, 7Dreams 7D-110
• Nicolas Simion: Transsylvanian Jazz, 7Dreams 7D-111