Branford Marsalis Quartet: Coltrane’s A Love Supreme Live in Amsterdam, Marsalis Music/Rounder 11661-3310-9 (DVD + CD)

Branford Marsalis Quartet

Coltrane’s A Love Supreme Live in Amsterdam

Marsalis Music/Rounder 11661-3310-9 (DVD + CD)

Branford Marsalis ist ein mutiger Mann. War es in den 80er Jahren noch jugendlicher Übermut, der ihn Sonny Rollins zum Duell auf einer New Yorker Bühne herausfordern (und kläglich scheitern) ließ, so hat er daraus die Bereitschaft entwickelt, sich bewusst und gezielt den eigenen Schwächen zu stellen und dadurch weiterzuentwickeln. Als er Defizite im Thema Blues an sich diagnostizierte, begab er sich Anfang der 90er Jahre auf Tournee mit namhaften Blues-Musikern (dokumentiert auf der bemerkenswerten CD ‚I Heard You Twice the First Time’, Sony/Columbia). Seiner gewissen Kopflastigkeit stellte er sich mit dem kürzlich erschienenen exzellenten Balladenalbum ‚Eternal’ (Marsalis Music/Rounder). Manchmal geht diese mutige Herangehensweise auch schief, so etwa als er Coltrane’s ‚A Love Supreme’ für die CD ‚Footsteps of Our Fathers’ (Marsalis Music/Rounder) im Studio aufnahm und dem Meisterwerk nicht gerecht wurde. Die Originalaufnahme aus dem Jahr 1964 gilt als Höhepunkt des klassischen Coltrane Quartetts mit McCoy Tyner, Jimmy Garrison und Elvin Jones und zeichnet sich durch ihre meisterliche Verbindung von Komposition und freier Improvisation aus. Sie ist Ausdruck der besonderen Spiritualität Coltranes und markierte den Start der Free Jazz Phase seiner letzten Lebensjahre. Kaum ein Saxofonist hatte sich an dieses Werk vor Marsalis herangetraut, der sich nicht entmutigen ließ und jetzt einen zweiten Versuch vorlegt, live aufgenommen im Amsterdamer Bimhuis im März 2003. Und diesmal schafft er es mit seiner seit fünf Jahren zusammenspielenden Gruppe mit Pianist Joey Calderazzo, Bassist Eric Revis und dem furiosen Drummer Jeff Tain Watts, sich ‚Love Supreme’ zu eigen zu machen und vielleicht auch für andere Saxofonisten zu befreien. Marsalis hat nicht die spirituelle Introvertiertheit Coltranes und dementsprechend kann auch diese Aufnahme nicht Spiritualität transportieren. Doch sie zeigt ein Quartett in inspirierter Höchstform, das gar nicht den Versuch macht, Coltranes Aufnahme zu rekreieren, sondern überzeugend ein eigenes Statement abgibt. Die Intensität des Zusammenspiels wird auf der hervorragend aufgenommenen DVD auch optisch deutlich, die in Stereo oder Surround Sound abspielbar ist und zusätzlich ein lohnendes halbstündiges Gespräch von Marsalis mit Coltranes Witwe Alice sowie weniger lohnende Interview-Ausschnitte mit den beteiligten Musikern und Michael Brecker, Miguel Zenon und anderen enthält. Ob die Zusammenstellung von DVD und CD mit der gleichen Musik in einer Box den Wünschen der Käufer entspricht, erscheint fraglich, doch lohnend ist der Kauf allemal.

Hans-Bernd Kittlaus 05.12.04