NSJF 2018

Jazzmeia Horn

Jazzmeia Horn

 

North Sea Jazz Festival 2018
Sommer, Sonne, Pop und Jazz

pdf[1] (erschienen 9/2018)

Das North Sea Jazz Festival hat sich als Marke so gut etabliert, dass es schon kurz nach Vorverkaufsbeginn ausverkauft war, also bevor irgendwelche Programminhalte bekannt waren. 25.000 Besucher täglich verlassen sich offenbar blind darauf, dass sie drei Tage lang auf 13 parallelen Bühnen ein attraktives Musikprogramm im Rotterdamer Ahoy Center geboten bekommen. Und weder die Fans von aktuellem oder nostalgischem Pop und Soul noch die Jazz Fans wurden enttäuscht. Die Pop-Schiene bedienten Bands wie Snarky Puppy mit Artist-in-Residence Michael League, The Roots, Chic, Earth Wind & Fire und Meshell Ndegeocello. Auf der Jazz-Schiene waren Stars wie Charles Lloyd, Stanley Clarke, Marcus Miller, Pat Metheny, David Sanborn, Ibrahim Maalouf, Gregory Porter und John Scofield zu erleben.

Schon seit vielen Jahren ist die Weiterentwicklung des Jazz stark von Schlagzeugern getrieben. Aktuell gelingt es jungen Drummern immer besser, Hiphop-Rhythmen in den Jazz zu integrieren und damit etwas Neues zu schaffen. Zentren dieser Entwicklung sind New York, Los Angeles und London, die alle in Rotterdam vertreten waren. Einer der ersten Drummer, der in diese Richtung ging, war der New Yorker Chris Dave. Er spielte mit seinen Drumhedz einen wesentlich jazzigeren Set, als seine jüngste pop-lastige CD erwarten ließ. Sein früherer Bandleader, Pianist Robert Glasper, kam mit der sehr elektrifizierten All Star Band R+R=Now, in der Drummer Justin Tyson für spannende Verschmelzungen sorgte. Aus der Los Angeles Szene beeindruckte Schlagzeuger Mike Mitchell, auch bekannt als Blaque Dynamite, mit rhythmisch verblüffendem Power Drumming im Trio von Pianist Cameron Graves. Die beiden hatten sich als Band Mitglieder von Stanley Clarke kennengelernt. Eine ganze Schiene war der Londoner Jazz Szene gewidmet. Dabei beindruckte Drummer Femi Koleoso sowohl in der Gruppe Ezra Collective als auch mit der Saxofonistin Nubya Garcia. Sein Spiel war deutlich differenzierter als das der beiden Schlagzeuger von Sons of Kemet, die einen kräftigen, aber eher eintönigen Rhythmusteppich legten, über dem Tubaspieler Theon Cross und das Londoner Mastermind Shabaka Hutchings am Tenorsaxofon höchst eindringlich solierten. Am eindrucksvollsten agierte der Schlagzeuger von Vijay Iyer’s Sextett Jeremy Dutton. Der Mittzwanziger bot hiphop-inspiriertes Power Drumming über 75 Minuten mit höchster Musikalität und veränderte den Sound von Iyer’s Band gegenüber deren jüngst erschienener ECM CD auf verblüffende Weise. Dutton trieb die Beteiligten zu energiegeladenem Spiel an und ließ alle gelegentlichen Vorwürfe vergessen, Iyer’s Musik sei zu kopflastig. Bassist Stephane Crump zupfte entfesselt seine Saiten, Tenorsaxofonist Mark Shim glänzte mit machtvollem Ton, Altsaxofonist Steve Lehman lieferte feurige Solos, Trompeter Graham Haynes brachte immer mal eine mehr spirituelle Note ins Geschehen, und Pianist Vijay Iyer solierte sichtlich inspiriert. Ein Highlight!

Weitere etwas konventionellere Höhepunkte kamen mit den beiden führenden jüngeren Protagonistinnen am amerikanischen Jazz-Gesangshorizont. Cécile McLorin Salvent zeigte sich weniger theatralisch als üblich mit einem oft heftig swingenden Programm. Jazzmeia Horn begeisterte mit Ausflügen in Betty Carter’s „Tight“ und in Hochton-Regionen à la Rachelle Ferrell. Ihr Trio mit Pianist Victor Gould unterstützte sie überzeugend. Anbiederungen ans Publikum wie die Aufforderung zum Mitsingen bereits im zweiten Titel des Sets sollte sich die 27-jährige allerdings schnell wieder abgewöhnen. Mit dem Paul Acket Award wurde in diesem Jahr die slowenische Pianistin Kaja Draksler ausgezeichnet. Ihr Oktett Programm lag über weite Phasen näher an Haydn als an Jazz, was größere Teile des Publikums mit dem Verlassen des Saals quittierten. Auch bei dem misslungenen Jazz Loves Disney Programm wurde es ziemlich leer. Die eigentlich gute französische Amazing Keystone Big Band kam nicht recht zum Zuge. Stattdessen wurden die Songs aus Disney Filmen mit langweiligen Streicher-Arrangements unterlegt. Die Sänger Miles Sanko und Hugh Coltman konnten den Standards kein Leben einhauchen, Sarah McKenzie und China Moses gelang das etwas besser. Ein sehr überzeugendes Konzert lieferte Kurt Elling, insbesondere als im zweiten Teil der Chicagoer Trompeter Marquis Hill dazu kam. Elling war bestens bei Stimme, und mit „Nature Boy“ löste er Ovationen aus. Das Festival bot eine Reihe von jüngeren in den Niederlanden beheimateten Bands auf. Besonders ansprechend war darunter der italienische Tenorsaxofonist Carlos Jr. De Rosa mit gutem Ton und melodisch wie rhythmisch ansprechendem Spiel mit dem virtuosen Katalanen Xavi Torres am Klavier. Der kubanische Pianist Harold López-Nussa glänzte im telepathischen Zusammenspiel mit seinem Bruder am Schlagzeug und hatte als Gäste Mundharmonika Grégoire Maret und Perkussionist Pedrito Martinez dabei. Gemeinsam heizten sie dem Publikum so ein, dass es sie am Ende nicht mehr gehen lassen wollte. Als weiterer Höhepunkt erwies sich das Sextett Boom Tic Boom der amerikanischen Schlagzeugerin Allison Miller, das schon seit zehn Jahren zusammenspielt. Hier wirkten Individualisten wie Pianistin Myra Melford, Geigerin Jenny Scheinman, Klarinettist Jeff Lederer und Kornettist Kirk Knuffke als Teile einer in sich stimmigen Band, ohne sich verbiegen zu müssen. Nicht umsonst taucht Boom Tic Boom regelmäßig in amerikanischen Polls als eine der besten festen Formationen auf.

Die generelle Terrorgefahr ist ein gern genutztes Argument für Maßnahmen, die keine Begeisterung bei Besuchern auslösen. Erstmalig gab es diesmal nur Namenstickets, für die tatsächlich die Ausweise abgeglichen wurden. Das hatte für den Veranstalter den angenehmen Nebeneffekt, dass damit der Schwarzmarkt unterbunden wurde. Die Taschenkontrollen sorgten dafür, dass Besucher so gut wie keine Speisen und Getränke mitbringen konnten und umso mehr auf die Verkaufsstände angewiesen waren, deren Preis-/Leistungsverhältnis noch schlechter war als in den Vorjahren. Dies in Kombination mit einer weiteren Reduzierung der Zahl und Spieldauer der engagierten Bands half dem Veranstalter, die Ticketpreise relativ günstig zu halten. Festivalchef Jan Willem Luyken und sein Team dürften mit dem Festival 2018 sehr zufrieden gewesen sein. Die nächste Festival-Ausgabe ist vom 12. bis 14. Juli 2019 geplant. Der Vorverkauf startet voraussichtlich im November 2018.

Hans-Bernd Kittlaus

Links:
NSJF
Videos NSJF 2018
Schlagzeuger Videos NSJF 2018