Ein neuer Stern am Piano-Himmel
Wir sind zum Abendessen verabredet. James Francies kommt auf die Minute pünktlich, nachdem er eine Stunde zuvor sein faszinierendes Solo-Konzert gegeben hatte. Während er auf der Bühne zurückhaltend wirkt, taut er im Gespräch schnell auf. “Ich bin in Houston, Texas, aufgewachsen. Mit vier fing ich mit dem Klavier an.“ Schon als Jugendlicher gewann er überregionale Aufmerksamkeit, etwa als Mitglied des Next Generation Jazz Orchestra beim Monterey Jazz Festival 2013. Mit 17 ging er nach New York, um an der New School bei George Cables zu studieren. Jetzt ist James 21 und in New York gut etabliert. “Ich spiele fest in der Band von Stefon Harris, aber auch in vielen anderen Formationen, etwa mit Marcus Strickland, Jeff Tain Watts, José James oder Eric Harland. Und natürlich mit meinem Trio.“ Ganz nebenbei tritt er mit The Roots im Fernsehen auf, arbeitet mit ?uestlove an Musik für Werbung und bestreitet Firmenveranstaltungen mit Stefon Harris, in denen Angestellten das Kooperationsmodell von Jazz Bands nahegebracht wird. Blue Note Label Präsident Don Was erzählt: “Meine Kinder machten mich auf James aufmerksam. Ich hörte ihn mir an und wollte ihn gleich unter Vertrag nehmen. Da war er 19. Er bestand darauf, mit seiner ersten CD-Aufnahme bis zum Abschluss seines Studiums zu warten.“ Der Studienabschluss soll im Mai 2017 erfolgen. Für den gleichen Monat ist die CD-Aufnahme geplant: “Ich will mit meinem Working Trio mit Burniss Earl Travis am Bass und Jeremy Dutton am Schlagzeug aufnehmen. Dazu wird der eine oder andere Gast kommen.“ Blue Note wird die CD im Herbst 2017 veröffentlichen.
Auf der Blue Note at Sea Kreuzfahrt beginnt James Francies mit einem Solo-Konzert. Als erstes zieht er seine Schuhe aus. Er tastet sich ruhig in das erste Stück, dann nimmt die Intensität bald zu. Er ist ein wahrhaft zweihändiger Pianist, wie es nicht viele gibt. “Meine Vorbilder sind Art Tatum und Oscar Peterson, unter den heutigen Pianisten vor allem Gonzalo Rubalcaba.“ Seine Interpretationen gestaltet er mit einer Reife und Souveränität, die sein Alter lügen strafen. “Ich versuche immer, den Stücken eine Dramaturgie zu geben.“ Auch seine Eigenkompositionen überzeugen. Einen Tag später folgt ein Trio-Auftritt mit Bassist Ben Williams und Schlagzeuger Greg Hutchinson, der hinterher dazu sagt: “Seine Kompositionen sind echt schwer, und wir hatten praktisch keine Probenzeit. Aber es klappte dann doch super. Das hat Spaß gemacht.“ In weiteren Konzerten spielt James in der Band von Marcus Strickland oder steigt bei Marcus Miller oder David Sanborn ein. “In New York hat man ja ein ständiges Jazz Festival. Aber dass diese großartigen Musiker hier alle so nah beisammen sind und miteinander spielen, ist schon speziell.“ Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten um vorherzusagen, dass James Francies auf dem Weg ist, in die Liga der Top-Pianisten aufzusteigen.
Hans-Bernd Kittlaus 25.02.17