NSJF 2001

North Sea Jazz Festival 2001
North Sea Jazz 2001

pdf[1](erschienen 9/2001)

 

Die 26-ste komplett ausverkaufte Ausgabe des North Sea Jazz Festivals bestach mit einem exzellenten Programm von Jazz und jazznaher Musik in der üblichen Breite. Es war gespickt mit Stars aus den Bereichen Jazz, Pop, Blues und Weltmusik von den Sängerinnen Erykah Badu, Cesaria Evora und Omara Portuondo über George Benson, Al Jarreau und Van Morrison bis zu Marcus Miller, Miriam Makeba und Herbie Hancock. Auch deutsche Jazzer von Peter Herbolzheimer über Till Brönner bis zu Engelbert Wrobel waren in größerer Zahl als in den Vorjahren vertreten. Die Festivalorganisatoren führten eine Reihe von Neuerungen mit unterschiedlichen Resultaten ein. Die augenfälligsten waren ein neues durchaus gelungenes Logo, das das Wort ‚Festival’ nicht mehr beinhaltet und damit auch für andere Unternehmungen nutzbar wird.

Preise und Neuerungen

Nachdem schon im letzten Jahr Kritik an der immer größer werdenden Zahl von Preisen laut wurde, die im Rahmen des Festivals verliehen wurden, hatten die Organisatoren das Ganze in diesem Jahr etwas gestrafft. Den Bird Award, der bisher in drei Kategorien vergeben wurde, gibt es nur noch einmal, nämlich für einen „Musiker, der größere Aufmerksamkeit verdient“. Er ging an den niederländischen Saxofonisten Toon Roos. Im Rahmen der Edison Jazz Awards – vergleichbar mit dem Deutschen Schallplattenpreis – erhielt der belgische Mundharmonika-Virtuose Toots Thielemans einen Preis für sein Lebenswerk, für den er sich musikalisch im Duo mit Pianist Kenny Werner und begleitet vom Jazz Orchestra des Concertgebouw Amsterdam bedankte.

Toots Thielemans und Kenny Werner nahmen im Juni eine Duo-CD auf, die als eine der ersten das neue North Sea Jazz Logo ziert. Die Festivalorganisatoren haben nämlich ein gleichnamiges CD-Label gestartet, das in Zukunft insbesondere auch Live-Aufnahmen vom North Sea Jazz Festival auf CD herausbringen soll. Eine weitere Neuerung ist der Artist-in-Residence, der an den drei Festivaltagen in unterschiedlichen Formationen auftreten darf. In diesem Jahr fiel diese Ehre auf George Duke, den erfolgreichen Keyborder, Arrangeur und Produzenten.

Das letztjährige 25-jährige Jubiläum wurde mit einem Bildband gewürdigt, der einen lesenswerten Text des niederländischen Journalisten Eddy Determeyer enthält. Die zahlreichen Fotos, überwiegend von Rico d’Rozario, sind nicht unbedingt künstlerisch wertvoll, wecken aber doch eine Menge Erinnerungen bei langjährigen Festivalbesuchern. Warum diesem Buch allerdings eine lieblos aus den Archiven zusammengestellte CD des Verve Labels hinzugefügt wurde, wird das Geheimnis der Organisatoren bleiben. Wenn man schon eine CD dabei haben wollte, hätte man aus der Vielzahl von Live Aufnahmen, die im Laufe der Jahre beim Festival entstanden sind, mit ein wenig mehr Mühe etwas wirklich Gelungenes schaffen können.

Der Ablauf des Festivals mit über 8 Stunden Musik pro Tag parallel auf 14 Bühnen war wie immer eine Herausforderung, die die Organisatoren um Theo van den Hoek problemlos bewältigten. Belohnt wurden sie damit, dass die drei Festivaltage mit über 70.000 Besuchern restlos ausverkauft waren. Die schon im letzten Jahr spürbare Verärgerung der Besucher über die Einführung eines Wertmarkensystems für den Verkauf von Speisen und Getränken setzte sich in diesem Jahr fort. Offenbar wollen die Organisatoren am Umsatz der Händler partizipieren und diesen auf diese Weise kontrollieren. Die Händler nahmen dies zum Anlass, ihre Preise kräftig nach oben zu treiben. Viele Besucher reagierten mit Konsumverzicht, indem sie sich eigene Verpflegung mitbrachten. Insgesamt eine unerfreuliche Entwicklung!

Alte und junge Meister

Wer Jackie McLean nur als MacAttack, so sein Spitzname, im Ohr hatte, konnte beim Auftritt des Altsaxofonisten mit Mal Waldrons New York Trio eine Überraschung erleben. Im Alter entwickelt McLean ein immer überzeugenderes Balladenspiel. Kongenial begleitet von Waldron am Klavier zelebrierte McLean diverse Standards, wobei sein charakteristisch harter Saxofonklang einen attraktiven Kontrast zu der eher weichen Grundstimmung des Sets bildete. Bassist Reggie Workman und Drummer Andrew Cyrille hatten viel Raum für solistische Ausflüge. Der fast 80-jährige Von Freeman, Tenorsaxofon-Legende aus Chicago, bewies noch immer viel Biß und Feuer, mehr jedenfalls als sein Sohn Chico, den der Alte beim gemeinsamen Auftritt mit anfeuernden Rufen wiederholt aus der Reserve zu locken versuchte. Solide begleitet wurden sie vom Larry Willis Trio, also der Rhythmusgruppe von Roy Hargrove. In Erinnerung blieb dabei Von Freemans meisterliche Interpretation von ‚What’s New?’.

Als der Hüne Randy Weston am Flügel platznahm, wirkte das Instrument gleich viel handlicher. Und er brachte es zum Klingen auf seine so afrikanisch geprägte, so spirituelle Art. Mit Unterstützung von James Lewis am Bass und dem Perkussionisten Mamadi Kamara aus Sierra Leone bot Weston sehr frische Interpretationen einiger seiner Eigenkompositionen wie ‚African Cookbook’ und ‚Blue Moses’. Höhepunkt war dann ein Solo Westons über Kompositionen von Thelonious Monk, das ihm stehende Ovationen einbrachte. James Carter hingegen enttäuschte seine Fans in Den Haag. So brilliant seine Gypsy CD als Tribut an Django Reinhart ist, live sprang der Funke nicht über. Der Saxofonist streute Titel ein, die nicht zum CD Programm gehörten und ihm mehr Entfaltungsmöglichkeiten boten, doch das half angesichts seines eher zweitklassigen Ensembles auch nicht.

Ganz anders entwickelte sich das Konzert des ex-Count Basie Stars Frank Wess. Seine Rhythmusgruppe mit dem feurigen Pianisten Danny Mixon, Bassist Larry Gray und Drummer Brian Grice legte eine swingende Rhythmusplattform in bester Basie Manier, die Trompeter Terell Stafford zu brillianten mitreissenden Solos inspirierte. Er zeigte eindrucksvoll, warum er in einem Atemzug mit Wynton Marsalis, Nicholas Payton und Roy Hargrove genannt wird. Wess selbst , fast 80, konzentrierte sich überwiegend auf die Flöte und ließ sein Tenorsaxofon nur gelegentlich hören. Payton gab in Den Haag ein umjubeltes Konzert mit seinem eingespielten Quintett, das zum Glück wenig mit seiner aktuellen blutleeren Armstrong Homage CD zu tun hatte.

Tenorsaxofonist Chris Potter glänzte mit seinen Kompositionen ebenso wie mit seinen Solos und zeigte, dass er die zunehmende Aufmerksamkeit verdient. Pianist Kevin Hays blieb dabei etwas blass, Bassist Scott Colley war der wie gewohnt mitdenkende Teamplayer. Drummer Clarence Penn gab der Musik eine wesentlich weichere Note im Vergleich zu Potters regulärem Drummer Brian Blade, mit dem er sich noch vor kurzem in Deutschland vorgestellt hatte. Pianist Kenny Barron absolvierte zwei sehr unterschiedliche Auftritte in Den Haag. Der eine war die Premiere des All Star Trios mit Bass-Legende Ron Carter und Drummer Billy Cobham, der seine größten Erfolge im Jazz Rock hatte, hier aber mit überraschend subtilem Jazz Feeling agierte. Natürlich hatten die drei noch nicht das intuitive Verständnis füreinander, das Barron in seinem New Yorker Standard Trio mit Ray Drummond und Ben Riley hat, aber dies wurde kompensiert durch den Reiz des ersten Mals. Seinen zweiten Auftritt hatte Barron mit der jungen Geigerin Regina Carter, die in den Vorjahren in Den Haag bereits mit ihren eigenen Gruppen Begeisterung ausgelöst hatte und im Duett mit Barron als technisch wie musikalisch brilliantes Talent erwies. Sie bringt der fast ausgestorbenen Geige im Jazz neuen Auftrieb.

Zwei junge Pianisten fielen sehr positiv auf. Der Schwede Esbjörn Svensson trat im Trio mit Bassist Dan Berglund und Drummer Magnus Oestroem auf. Seine wahnwitzigen Läufe mit der rechten Hand faszinierten ebenso wie seine gelungenen Kompositionen. Dabei wirkte alles sehr energiegeladen, aber – no blues. Der noch jüngere Niederländer Wolfert Brederode führte gemeinsam mit Schlagzeuger Eric Ineke ein Quintett an, dem auch der fulminante Trompeter Jarmo Hoogendijk und der ausdrucksstarke österreichische Saxofonist Harry Sokal angehörten. Hier war das Ausdrucksspektrum breiter, woran Sokal neben dem exzellenten Pianisten besonderen Anteil hatte.

Ray Brown vermarktet seine Geburtstage auf das Beste. Durfte man schon seinen 70sten fast zwei Jahre lang mitfeiern, so zelebrierte er in Den Haag bereits seinen 75sten, auch wenn der erst im Herbst ansteht. Dazu hatte der Bassist den Pianisten Benny Green und den Schlagzeuger Jeff Hamilton eingeladen, die beide früher längere Zeit in seinem Trio gespielt hatten. Die drei swingten höllisch und begleiteten dann weitere Solisten wie Posaunist Steve Turre, Trompeter James Morrison und die Sängerin Melissa Walker. Benny Green hatte noch einen zweiten Auftritt im Duo mit dem Gitaristen Russell Malone, in dem auf virtuose Weise der Blues zelebriert wurde.

Eines der Abschlusskonzerte des Festivals bestritt das Mulgrew Miller Trio mit Bassist Niels Henning Oersted Pedersen. Schlagzeuger Alvin Queen trieb die Gruppe mit hartem schnellem Beat an, über dem Miller und NHOP höchst kreativ Standards interpretierten. Überraschend nannte NHOP Mulgrew Miller auf offener Bühne den seiner Meinung nach zurzeit besten Jazz Pianisten der Welt. Darüber kann man angesichts eines Kenny Barron, Randy Weston oder Herbie Hancock sicher streiten, doch wer der zurzeit beste Jazz Bassist ist, war nach diesem Set ziemlich klar.

Gesang

Bobby McFerrin, der in letzter Zeit mehr als klassischer Dirigent von sich reden machte, gab in Den Haag eine seiner gefeierten Solo Performances und wickelte das Publikum mit seinen faszinierenden Vokalimprovisationen um den Finger. In einem weiteren Auftritt wagte er mit Chick Corea sehr freie Improvisationen über Titel wie ‚Autumn leaves’ oder ‚Spain’, die dem Publikum genauso wie den beiden eine Menge Spaß machten. Auch Coreas Trio Kollegen Bassist Avishai Cohen und Schlagzeuger Jeff Ballard machten bei einigen Titeln engagiert mit.

Dianne Reeves wirkte bei ihren Auftritten in diesem Sommer mehr denn je so souverän und in sich ruhend, dass sie selbst die Riesenbühne des Den Haager PWA Saals mit ihrer Präsenz problemlos ausfüllte. Ihr Sarah Vaughan Programm ist ihr offensichtlich eine Herzensangelegenheit und kam live wesentlich überzeugender rüber als auf ihrer letzten CD, auf der sie zum Teil etwas verkrampft wirkt. Natürlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Dianne Reeves und ihrem Vorbild Sarah Vaughan. Das wurde besonders deutlich bei ‚Send in the clowns’, das Sarah mit ihren Kolloraturen zur dramatischen Arie machte. Dem hatte Dianne Reeves nichts adäquates entgegenzusetzen. Wesentlich besser war dagegen ihr ‚Mood indigo’, nur begleitet von Bassist Reginald Veal, oder ‚Fascinating rhythm’ in Begleitung des vollen Prima La Musica Orchesters unter Leitung von Dirk Vermeulen. Interessant ist die Veränderung in der öffentlichen Wertschätzung für Sarah Vaughan. Während viele zu ihren Lebzeiten ihr divenhaftes Auftreten zum Anlass nahmen, sie auch als Sängerin abzuqualifizieren, ist sie in den 11 Jahren seit ihrem Tod von vielen Kritikern, aber insbesondere von vielen jungen Sängerinnnen zum Inbegriff des Jazz-Gesangs erklärt worden. Es ist an der Zeit, ihr Gesamtwerk neu zu entdecken, und dazu liefert Dianne Reeves mit ihrer Homage dankenswerterweise einen guten Anstoß.

Jane Monheit hat in den letzten zwei Jahren vor allem in den USA einen kometenhaften Aufstieg als Jazz Sängerin erlebt. Nach ihrem North Sea Auftritt muss man feststellen, dass das wohl mehr an dem lolitahaften Äußeren der 23-jährigen liegt als an ihrem Gesang. Sie hat zwar eine angenehme Stimme und versuchte, ihre Songs mit Jazz Feeling zu interpretieren, doch ihre Phrasierung war häufig nicht überzeugend und die Risiken, die sie bei Improvisationen einging, beherrschte sie vielfach nicht. Ganz anders dagegen die in New York lebende Italienerin Roberta Gambarini. Sie hatte die große Ehre, dass Pianist Hank Jones mit ihr auftrat und dazu Bassist Niels-Henning Oersted Pedersen und Drummer Alvin Queen gewann, und erwies sich diesem Staraufgebot durchaus ebenbürtig. Sie verfügt über keine große Stimme wie Sarah Vaughan, aber sang mit Präzision und Flexibilität, wobei ihr ihre klassische Ausbildung deutlich zugute kam. Faszinierend waren insbesondere ihre selbst betexteten Solos von Johnny Hodges und Dizzy Gillespie. Es gehört nicht viel Wahrsagerei dazu, ihr eine große Karriere vorherzusagen.

Marlena Shaw zeigte sich wie schon im Vorjahr in blendender Form. Begleitet von Pianist Bill Cunliffe, mit dem sie nicht immer vollständig harmonierte, und den Niederländern Bassist Hein van de Geyn und Schlagzeuger Hans van Oosterhout bot sie ein mitreissendes bluesgetränktes Programm, das ihren 70er Jahre Hit ‚In the ghetto’ in neuer Interpretation wiederaufleben ließ. In bester schwarzer Erzähltradition zelebrierte sie ‚Go away little boy’ in einer Frische, dass man kaum glauben konnte, dass dieser Titel nahezu unverändert bereits über 15 Jahre in ihrem Repertoire ist. Sie erntete verdientermaßen zweimal volle Säle und stehende Ovationen.

Den Haag war auch im Jahr 2001 eine Reise wert. Im Jazz-nahen Bereich fehlte allerdings ein wenig der Pfiff, wie ihn zum Beispiel im Vorjahr die Chicago Avantgarde Schiene gebracht hatte. Warum nicht mal Asian American Jazz aus Kalifornien oder japanischer Jazz? Starke Promotion erfuhr der Ableger von North Sea Jazz im südafrikanischen Capetown, wo das Festival vom 28. bis 30. März 2002 stattfinden wird. Das nächste Festival in Den Haag ist vom 12. bis 14. Juli 2002 geplant.

Hans-Bernd Kittlaus