Xavi Torres
North Sea Jazz Festival 2016
Monate vorher ausverkauft
Das Port of Rotterdam North Sea Jazz Festival war erneut Monate vor Beginn bereits ausverkauft. Der Erfolg war einem breiten Programmspektrum zu verdanken mit Pop Konzerten von Pharell Williams, Earth Wind & Fire und Simply Red bis zu Jazz-Stars wie Gregory Porter, Diana Krall, John Scofield und Brad Mehldau oder Pat Metheny und Ron Carter. Mit 3 Tagen à 8 Stunden Musik auf 12 parallelen Bühnen und täglich etwa 25.000 Besuchern lief die Mammutveranstaltung sehr gut organisiert ab, wobei die zunehmende Reduzierung der Musikzeit pro Bühne zu spürbaren Engpässen führte, da die Besucher stärker als früher zwischen den Bühnen wechselten.
Diana Krall spielte mit kleiner Band ein sehr jazziges Programm, das zum Glück wenig mit ihrer letzten CD zu tun hatte. Die führende holländische Sängerin Fay Claassen gab eine überzeugende Darbeitung von Standards mit dem exzellenten Peter Beets am Klavier, der immer wieder in bester Oscar Peterson Tradition swingte. Esperanza Spalding führte das Programm ihrer neuen CD “Emily’s D+Evolution“ auf, das musikalisch Prince näherstand als ihrem früheren Arbeitgeber Joe Lovano. Die Bühnenshow war eindrucksvoll choreografiert inklusive Kostümwechseln und machte die Musik zugänglicher als auf der CD. Kurt Elling trat mit Saxofonist Branford Marsalis und seiner Band auf und wirkte viel lockerer und inspirierter als auf der gerade erschienenen gemeinsamen CD. Besonders mitreißend etwa Gershwin’s „There is a boat that’s leavin‘ soon for New York“ mit viel Interaktion aller Beteiligten. Gewinnerin des Paul Acket Awards war die Sängerin Cécile McLorin Salvant, die mit ihrem Trio mit dem elegent begleitenden Pianisten Aaron Diehl ein äußerst abwechslungsreiches Programm vom Folk Song „John Henry“ über ein Josephine Baker Chanson in Französisch bis zu Jazz Standards bot. Das hatte durchaus viel Humor, etwa wenn sie den eigentlich spießigen Burt Bacharach Song „Wives and Lovers“ sang, aber ohne dass die Sängerin eine emotionale Verbindung zum Publikum aufbaute.
Artist-in-Residence war dieses Jahr der libanesisch-französische Trompeter Ibrahim Maalouf, dessen drei Konzerte guten Publikumszuspruch bekamen. Seine Mischung aus nahöstlichen Klängen und Jazz-Elementen wirkte authentisch. Mit seinem Alter Ego Frank Woeste am Klavier und Musikern wie Saxofonist Mark Turner, Bassist Scott Colley und Schlagzeuger Clarence Penn verfügte er über eine Spitzenband, auch mit seiner französischen Band und dem Metropole Orchestra überzeugte er. Das Metropole Orchestra begleitete auch den Shooting Star des letzten Jahres Kamasi Washington, der die Musik seiner Erfolgs-CD „The Epic“ in großer Besetzung mit Big Band, Chor und Streichern aufführte. Das kam der CD-Aufnahme sehr nah, aber der dichte Sound war live über mehr als eine Stunde recht erschlagend. Washington erzeugt eine 1960er-Jahre-Atmosphäre ähnlich wie der junge Tenorsaxofonist James Brandon Lewis, dessen Saxofon-Sound sehr nah bei John Coltrane liegt, der aber sein Trio zeitgenössische Hiphop Rhythmen dagegen setzen lässt. Ein Power Trio, das Erinnerungen an die britische Band Sons of Kemet weckte. Wesentlich ruhiger gingen die Saxofon-Altmeister zu Werke. Charles McPherson begeisterte mit seinem schönen Alt-Sound und gefühlvollen Balladen, geschmackvoll begleitet von seinem Pianisten Bruce Barth und seinem Trio. Charles Lloyd kreiierte spirituelle Momente mit seiner großartigen Band mit Pianist Jason Moran, Bassist Ruben Rogers und Schlagzeuger Eric Harland. Pharoah Sanders überließ seinem Perkussionisten Trilok Gurtu über weite Strecken das Rampenlicht, aber wenn Sanders dann mal bließ – das erste Mal 20 Minuten nach Beginn des Konzerts – dann war die alte Faszination dieses gewaltigen Tenor-Sounds sofort da. Kenny Garrett blieb ebenso wie Trompeter Wallace Roney recht blass im Konzert zum 75-sten Geburtstag von Chick Corea. Die überragenden Solisten waren dabei Bassist Christian McBride und vor allem der junge Schlagzeuger Marcus Gilmore, der in den Fußstapfen seines Großvaters Roy Haynes agierte, der so oft mit Corea zusammengewirkt hat. Steve Lehman brahcte mit seinem Oktett eine New Yorker All Star Band nach Rotterdam, die mit intelligenten Kompositionen und Arrangements ebenso begeisterte wie mit zahlreichen solistischen Highlights, zum Beispiel vom Tenorsaxofonisten Mark Shim.
Arturo O’Farrill und sein Afro-Latin Jazz Orchestra steht in der Tradition seines Vaters, des berühmten Arrangeurs und Band Leaders Chico O’Farrill, die er aber vorzüglich modernisiert hat. Die Band spielte die schwierigen Arrangements, überwiegend von der exzellenten Doppel-CD “Cuba: The Conversation Continues“, mit Bravour. Dr. Lonnie Smith überlies in seinem ersten Konzert das Solieren überwiegend seinem exzellenten Gitarristen Jonathan Kreisberg. Im zweiten Konzert mit dem Jazz Orchestra of the Concertgebouw unter Dennis Mackrel griff er dann überzeugender in die Tasten seiner Hammond Orgel, sichtlich angeregt durch die knackigen Arrangements. Das gute alte Klaviertrio erhält schon seit vielen Jahren bei North Sea nicht mehr die Beachtung, die es zu Den Haager Zeiten des Festivals bekam. Doch 2016 brachte eine Reihe von guten Trios. Das begann mit dem Gewinner der Dutch Jazz Competition, dem gut eingespielten Trio des jungen spanischen Pianisten Xavier Torres, der mit eingängigen Kompositionen und großer Spielfreude auftrat. Giovanni Guidi bewegte sich zwischen Klassik-Nähe und vertrackten Jazz-Rhythmen. Der andere große italienische Pianist Enrico Pieranunzi spielte ein exzellentes Trio-Set mit swingenden Läufen und starker Interaktion. Der New Yorker Pianist Aruan Ortiz bot ein inspiriertes Avantgarde Set mit Bassist Brad Jones und Schlagzeuger Gerald Cleaver. Altmeister Kenny Barron schließlich faszinierte im Duo mit Bassist Dave Holland mit kammermusikalischem Swing und feinstem auf gutem Zuhören basierenden Zusammenspiel. Zum Abschluss des Festivals spielte der luxemburger Vibraphonist Pascal Schumacher ein stimmiges Set mit seiner sehr international besetzten Band, unter anderem mit dem deutschen, in den Niederlanden lebenden Pianisten Franz von Chossy, dem finnischen Trompeter Verneri Pohjola und dem mitreißend treibenden und Akzente setzenden deutschen Schlagzeuger Jens Düppe. Die Musik basierte weitgehend auf der letzten CD der Band “Left Tokyo Right“, war also japanisch inspiriert, allerdings ohne japanisch zu klingen.
Der frühzeitige Ausverkauf der Tickets hatte dieses Jahr keine erhöhten Schwarzmarktpreise zur Folge. Möglicherweise hatten sich Leute da verspekuliert. Die Festivalorganisation unter Jan Willem Luyken hat es über einige Jahre geschafft, die Eintrittspreise stabil zu halten, allerdings um den Preis einer zeitlichen Ausdünnung des Programms auf den einzelnen Bühnen. Dieser Weg lässt sich nicht mehr fortsetzen, ohne dass die Heftigkeit der Wanderungsbewegungen der Besucher zwischen den Bühnen innerhalb des Rotterdamer Ahoy Centers unangenehm wird. Es dürfte also eher teurer werden. Die nächste Ausgabe ist vom 7. bis 9. Juli 2017 geplant.
Hans-Bernd Kittlaus