NSJF 2008

North Sea Jazz Festival 2008
Das Jahr der Schlagzeuger

pdf[1](erschienen 9/2008)

 

In der 33-sten Ausgabe bot das North Sea Jazz Festival im Rotterdamer Ahoy Zentrum das gewohnt stargespickte Programm. Mit fast 70.000 Zuschauern in drei Tagen gelang eine weitere Steigerung, aber nur der Samstag war ausverkauft. Wie immer traten neben Jazz Stars wie Pat Metheny, Herbie Hancock und Branford Marsalis auch Vertreter vieler anderer Musikrichtungen auf, so etwa Alicia Keys, Paul Simon, Angie Stone, die charismatische Angélique Kidjo und der stimmgewaltige Publikumsliebling Jill Scott.

Schwerpunkte

Passend zum Schwerpunkt Vokal-Jazz war Bobby McFerrin der diesjährige Artist-in-Residence, der ein fulminantes Eröffnungskonzert mit der gut aufgelegten NDR Big Band bestritt. Altmeister Mark Murphy überzeugte mit kompromissloser Improvisation ohne Netz und Sicherung, wobei sein Begleittrio mit den Deutschen Thomas Rückert am Klavier, Henning Gailing am Baß und dem niederländischen Schlagzeuger Joost van Schaik ihn exzellent unterstützte und mehrfach Szenenapplaus erhielt. Diana Krall wirkte zu Beginn ihres Standards-Programms etwas fahrig und nervös, aber mit Hilfe ihrer erfahrenen Musiker, insbesondere des Gitarristen Anthony Wilson, legte sich das mit der Zeit. Auch Roberta Gambarini, die letztes Jahr eines der Festival-Highlights gesetzt hatte, zeigte starke Nervosität, was vielleicht mit dem krankheitsbedingten Fehlen von Pianist Hank Jones zu tun hatte, dessen bevorstehender 90-ster Geburtstag in diesem Set gefeiert werden sollte. Den vokalen Höhepunkt dieses Jahres brachte das Konzert von Cassandra Wilson, die entsprechend ihrer neuen CD ‚Loverly’ (Blue Note) Standards zelebrierte. Selten hat man sie so frei und geradezu fröhlich erlebt, und selten hat sie so viel improvisiert, etwa mit ihrer gänzlich eigenständigen Version von ‚Them There Eyes’. In ihrer Band stachen neben Schlagzeuger Herlin Riley der blues-verströmende Gitarrist Marvin Sewell und der virtuose Pianist Jonathan Batiste heraus, gerade Anfang 20 und Sproß der Musiker-Familie aus New Orleans. Cleo Laine und ihr Ehemann und Saxofonist John Dankworth, beide inzwischen von der britischen Königin geadelt, können ihr Alter von 80 Jahren körperlich nicht verbergen. Dagegen hat sich Dame Cleo ihre verblüffend alterslose Stimme bewahrt, diese einzigartige Altstimme, die manchmal im Saal zu schweben schien und intonationssicher virtuose Tonfolgen meisterte.

Auch wenn die Festival-Organisatoren es nicht als Schwerpunktthema herausgestellt hatten, erwies sich der gewachsene Einfluss der Schlagzeuger als wiederkehrendes Element vieler Sets. Mit Herlin Riley bei Cassandra Wilson und Jeff Hamilton bei Diana Krall waren führende Vertreter der eher traditionellen Spielweise zu sehen. Davon hat sich eine nachfolgende Generation unter 40 deutlich abgesetzt. Das begann in Rotterdam mit Brian Blade, Stammspieler in Wayne Shorters Quartett, der im Set des Pianisten Kenny Werner im Zusammenspiel mit Bassist Scott Colley ein polyrhythmisches Fundament von beachtlicher Intensität legte. Scott Colley war auch an einem der besten Sets des Festivals beteiligt, in dem Schlagzeuger Antonio Sanchez, Stammmitglied des Pat Metheny Trios, die Musik seiner Debut-CD ‚Migration’ (CAMJazz) vorstellte, einer der stärksten Veröffentlichungen des Jahres 2007. Dabei standen die beiden Saxofonisten David Sanchez (nicht verwandt) und Miguel Zenon solistisch stärker im Vordergrund, aber Antonio Sanchez ließ seine Musik mitreissend pulsieren, setzte in nicht abreissender Folge Akzente, die phasenweise zu einer eigenständigen Melodielinie wurden, und trieb die beiden Bläser zu fulminanten Sax Battles an. In diese Drummer-Garde gehört auch Nasheet Waits, dessen Band Equality aus Jason Morans Trio Bandwagon plus Saxofonist Logan Richardson bestand. Auch hier ging vom Schlagzeuger Waits ein über den gesamten Set nicht nachlassender Druck aus, eine Kraft gepaart mit Virtuosität, die seine Mitmusiker sichtlich inspirierte. Pianist Michel Camilo, dieser Dynamo aus der Dominikanischen Republik, braucht wahrlich niemanden, der ihn antreibt. Trotzdem zeigte Dafnis Prieto seine wichtige Rolle in Camilos Trio. Auch er setzte fortlaufend hochmusikalische Akzente, gab Camilos mitunter überbordender Virtuosität Struktur und belegte, warum er in New York als einer der wichtigsten Exponenten des aktuellen Schlagzeugspiels gilt.

Highlights und Entdeckungen

Der diesjährige Paul Acket Award ging an den New Yorker Gitarristen Adam Rogers. Der ebenfalls nominierte holländische Altsaxofonist und Klarinettist Joris Roelofs hätte ihn aber ebenso verdient. Er gab ein Preview auf seine im September erscheinende Debut CD und hatte dazu ein beeindruckendes New Yorker Trio an seiner Seite. Pianist Aaron Goldberg brillierte mit energiegeladenen Solos und Bassist Matt Penman und Schlagzeuger Eric Harland legten ein hochdynamisches Fundament, über dem Roelofs cool seine melodischen Linien blies. Er folgte einer strengen Stilistik, die besonders auf der Klarinette faszinierte. Keine unnötige Verzierung, keine Klezmer-artige Verfärbung, sondern ein eleganter, im positiven Sinne ökonomischer Klang, der Anlass zur Hoffnung gab, dass Roelofs der Alleinstellung Don Byrons als dem Klarinettisten des modernen Jazz ein Ende setzen könnte. Auch die in New York lebende Israelin Anat Cohen wusste auf der Klarinette besser zu gefallen als auf dem Tenorsaxofon. Begleitet von einem konventioneller agierenden Trio mit Pianist Jason Lindner spielte sie überwiegend lateinamerikanische Songs und bestach mit einem sehr schönen warmen Ton auf der schwierigen Klarinette, der allerdings deutlichen Klezmer-Einfluss zeigte. Der letztjährige Gewinner des Paul Acket Awards, der italienische Posaunist Gianluca Petrella, trat dieses Jahr mit seiner Gruppe Indigo 4 auf, in der neben dem Leader vor allem Saxofonist Francesco Bearzatti hervorstach. Beide Bläser begeisterten mit vor Spielfreude berstenden Solos, zum Beispiel über Ellingtons ‚Mood Indigo’, die Petrella mit elektronischen Effekten verfremdete. Das klassische Klaviertrio war in diesem Jahr in Rotterdam nicht so zahlreich vertreten wie auf früheren North Sea Festivals. Da war es ein besonderer Genuss, Steve Kuhn im Zusammenspiel mit seinem langjährigen Bassisten David Finck und Schlagzeuger Joey Baron zu erleben. Hier wurden Standards und Eigenkompositionen wie ‚Oceans in the Sky’ zelebriert mit einem Wohlklang, der danke der solistischen Fähigkeiten der Beteiligten nie langweilig wurde. Der amerikanische Altsaxofonist mit indischen Vorfahren, Rudresh Mahanthappa, trat im Quartett mit Pianist Craig Taborn, Bassist Francois Moutin und Drummer Dan Weiss auf. Seine intelligenten, hochkomplexen Kompositionen wurden vom Quartett in einer Weise interpretiert, die komponierte und improvisierte Teile kaum unterscheidbar machte. Faszinierendes Ensemble-Spiel ging einher mit inspirierten Solos, vor allem von Muhanthappa und Moutin.

Jan Willem Luyken und sein Organisationsteam entwickelten viele Ideen, um das Festival im dritten Jahr am neuen Standort Rotterdam weiter zu optimieren. Auch wenn Luyken bedauerte, nur einmal im Jahr Gelegenheit zu haben, die Ideen auszuprobieren, sind die Fortschritte unverkennbar. Nur das im Vorjahr aufgetretene Problem der mangelnden akustischen Entkopplung zweier Bühnen konnten nicht auf Anhieb gelöst werden, doch auch das wurde am zweiten und dritten Festivaltag deutlich verbessert. Und die logistische Leistung des Organisationsteams ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Das nächste Festival ist vom 10. bis 12. Juli 2009 geplant.

Hans-Bernd Kittlaus