Premiere des neuen Jazz-Kreuzfahrt-Konzepts
(erschienen im Jazz Podium 04/2017)
Nachdem die Entertainment Cruise Productions unter Michael Lazaroff bereits 16 höchst erfolgreiche Karibik-Kreuzfahrten unter dem Namen „The Jazz Cruise“ durchgeführt hatten, veranstalteten sie im Februar 2017 in Ergänzung zur Jazz Cruise die „Blue Note at Sea“ Cruise. Während die Jazz Cruise recht eng auf Straight Ahead Jazz fokussiert ist, bietet die Blue Note Cruise einen breiteren stilistischen Ansatz und ist stärker auf Superstars ausgerichtet.
Lazaroff war es gelungen, sowohl das Blue Note Label als auch die Blue Note Clubs als längerfristige Partner für die Cruise zu gewinnen. Blue Note Label Präsident Don Was engagierte sich persönlich, verbrachte die ganze Woche auf dem Schiff, leitete Podiumsdiskussionen und sagte Konzerte seiner Blue Note Musiker an. Das Programm war aber nicht auf Blue Note Vertragskünstler beschränkt.
Das Schiff, die Celebrity Summit, auf der dieses Jahr erstmals die Cruises stattfanden (bis letztes Jahr liefen sie auf der Holland America Linie), erwies sich als deutliche Verbesserung, insbesondere hinsichtlich von Sicht und Sound auf den fünf Bühnen. Bei Ausfahrt aus Fort Lauderdale’s Hafen spielte die Ronnie Scott’s All Stars Band, die Hausband des Londoner Clubs, fröhlich auf, die an den weiteren Abenden auch die Late Night Sessions bestritt. Gut gefielen dabei der junge Trompeter Freddie Gavita und Sängerin Natalie Williams, eine gebürtige Berlinerin. Die Shows der Band standen sehr in der britischen Jazz Tradition, also musikalisch recht konservativ und mit Ansagen, die an den Namensgeber Ronnie Scott erinnerten, also Sarkasmus gepaart mit spießigem Humor. Das sorgte für gute Stimmung bei Abfahrt, passte aber nicht so recht zur musikalischen Ausrichtung der Cruise. Das erste Highlight brachte dann der konzertante Auftritt von Gregory Porter und Band. Der Sänger bot ein Best-of Programm mit vielen solistischen Einlagen der Band-Mitglieder, vor allem von Pianist Chip Crawford und Trompeter Keyon Harrold, der den Sound der Band im Vergleich zur bisherigen Quartett-Besetzung härter und jazziger machte. Porter wirkte souverän und bestens bei Stimme. Am nächsten Tag trat er in Marcus Miller’s Pool Jam Session gemeinsam mit Dianne Reeves und Lalah Hathaway auf, begleitet von Marcus Miller’s Band, Trompeter Terence Blanchard und Saxofonistin Grace Kelly. Ihr gemeinsames “All Blues“ gehörte zu den Gänsehautmomenten. Mehr Grammies auf einer Bühne sind kaum vorstellbar. Tatsächlich bekamen Gregory Porter, Lalah Hathaway und die ebenfalls auf dem Schiff spielenden Chucho Valdes und Robert Glasper eine Woche später weitere Grammies in Los Angeles.
Tenorsaxofonist Joshua Redman spielte mit großer Spiellaune mit seinem wunderbaren Quartett mit Pianist Aaron Goldberg, Bassist Reuben Rogers und Schlagzeuger Greg Hutchinson. Auch Redman’s Auftritt mit The Bad Plus sprühte vor Inspiration und war deutlich weniger rockig als die gemeinsamen Auftritte auf den europäischen Festivals im letzten Sommer. Seinen besten Auftritt hatte Redman als Gast in einer von David Sanborn’s abendlichen Sessions mit einer Version von „St. Thomas“ als Homage an Sonny Rollins, die karibische Lebensfreude mit überschäumender Energie und stupendem Ideenfluss verband. Redman selbst lud als Gast Terence Blanchard in eines seiner Konzerte ein. Gemeinsam zelebrierten sie eine mitreißende Hardbop Homage an Lee Morgan, u.a. mit “Sidewinder“. Blanchard hatte zahlreiche gute Gastauftritte, aber der Gala-Auftritt mit seinem eigenen Quintett geriet dann sehr elektronisch pop-orientiert. Sein Versuch, mit dieser Musik schwarze Jugendliche anzusprechen und von Gewalt abzuhalten, ist ehrenwert, aber als Jazzfan muss man den Sound nicht mögen. Dianne Reeves hatte zwei Gala-Auftritte mit dem exzellenten Trio von Peter Martin mit Reuben Rogers und Greg Hutchinson, die die Diva zu majestätischen und sehr jazzigen Darbietungen inspirierten. Das Trio brillierte auch in seinen Auftritten ohne Dianne Reeves mit sehr inspiriertem Zusammenspiel. Auch Lalah Hathaway überzeugte mit Marcus Miller’s Band, vor allem mit einer mitreißenden Version von “Summertime“. Miller selbst war Musical Director der Cruise und so omnipräsent, dass darüber geulkt wurde, dass er wohl auch der Kapitän des Schiffes sei. Seine Band war hervorragend besetzt mit Trompeter Marquis Hill, dem Gewinner des Monk Wettbewerbs für Trompeter, dem immer besser werdenden Altsaxofonisten Alex Han, Pianist Cliff Barnes und Schlagzeuger Alex Bailey. Gitarrist Pat Metheny kam nur einen Tag für zwei Gala-Konzerte aufs Schiff, die er gewohnt virtuos absolvierte. Robert Glasper wirkte ausgesprochen gut gelaunt in seinen Trio-Konzerten und unterhielt das Publikum auf hohem Niveau. Chucho Valdes spielte in mehreren Solo-Konzerten hauptsächlich amerikanische Standards. Ein besonderer Höhepunkt war sein “Caravan“ als Gast von Marcus Miller, kraftvoll, swingend, virtuos.
Auch wenn die Superstars im Vordergrund standen, gab es viele großartige weniger spektakuläre Sets. Bassist Ben Williams war neben Marcus Miller der meistbeschäftigte Musiker an Bord und spielte akustischen und E-Bass mit eigenständigem Sound in den Bands von David Sanborn, Grace Kelly, James Francies und Marcus Strickland. Der kubanische Pianist Hubert Lopez-Nussa wandelte auf den Spuren von Michel Camilo. Sein perkussives Spiel wurde bestens unterstützt vor allem durch seinen Bruder am Schlagzeug in geradezu telepathischem Zusammenspiel. Fabian Almazon, ebenfalls Kubaner und Pianist von Terence Blanchard, gab ein fulminantes, wenn auch etwas kopflastiges Solo-Konzert. Spannend auch die Blue Note New Perspectives Schiene. Darin trat Kandace Springs auf, erstaunliche Pianistin und Sängerin, die an Roberta Flack erinnerte, besonders mit “The First Time Ever I Saw Your Face“. Der erst 21-jährige Pianist James Francies ließ enormes Potential erkennen (siehe separaten Artikel). Marcus Strickland, von Don Was als Lieblingssaxofonist bezeichnet, spielte Musik von seiner Blue Note CD “Nihil Novo“ im Quartett mit Francies, Williams und Zwillingsbruder E.J. Strickland. Das klang wesentlich natürlicher und eindringlicher als die von Meshell Ndegeocello überproduzierte CD.
Die Premiere des neuen Konzepts zeigte noch Kinderkrankheiten. Die Grammy-Verleihung am Tag nach der Kreuzfahrt führte dazu, dass die Superstars Gregory Porter, Lalah Hathaway, Dianne Reeves und Robert Glasper und ihre Bands bereits Mitte der Woche abreisten, um rechtzeitig in Los Angeles zu sein. Dieser Terminkonflikt soll zukünftig vermieden werden. Bei langjährigen Jazz Cruise Passagieren führte auch zu Unzufriedenheit, dass das neue Konzept nicht mehr vorsieht, dass man wie auf der Jazz Cruise über 12 Stunden Live Musik pro Tag erleben kann. Besonders an den Tagen, an denen das Schiff in Häfen lag, war das Programm auf ca. 7 Stunden reduziert und bot auch weniger Parallelität von Konzerten. Dieser Unterschied wird zukünftig klarer vorab kommuniziert werden müssen. Gut waren die Sessions unter Leitung von David Sanborn oder Marcus Miller, die Musiker in ungewöhnlichen und vermutlich einmaligen Kombinationen auf die Bühne brachten. Die Qualität der gebotenen Musik war überragend mit vielen unvergesslichen Momenten. Die nächste Blue Note at Sea Cruise ist geplant vom 27. Januar bis 3. Februar 2018, unter anderem mit Chick Corea, Dee Dee Bridgewater, Charles Lloyd, Dr. Lonnie Smith und wieder mit Marcus Miller und Robert Glasper. Die nächste Jazz Cruise soll eine Woche später stattfinden, unter anderem mit Roberta Gambarini, The Cookers und Clayton Brothers, also den beiden besten heute aktiven Hardbop Bands.
Hans-Bernd Kittlaus 25.02.17