Too much of a good thing … can be wonderful
2020 gab es vier einwöchige Karibik-Kreuzfahrten mit Jazz Festivals an Bord, produziert vom amerikanischen Veranstalter Entertainment Cruise Productions – alle vier ausverkauft mit jeweils mehr als 2000 Passagieren. In diesem Bericht geht es um die Blue Note at Sea und The Jazz Cruise, daneben gab es noch zwei Smooth Jazz Cruises. Aus Platzgründen können zwei Festivals, die mit über 150 Musikern aus dem Hochadel der amerikanischen Jazz-Szene besetzt waren, hier nicht vollständig behandelt werden, deshalb nur einige Highlights.
Das Konzept der Blue Note Cruise sieht vor, dass es für jeden Abend einen Superstar mit zwei Sets gibt, so dass alle Passagiere ihn oder sie sehen können. Stilistisch war das Superstar-Programm recht breit mit Marcus Miller und Gregory Porter bis hin zu Melody Gardot und Cory Henry, wobei letztere eher in Pop und Funk zu verorten waren. Darum herum gab es drei weitere Bühnen, auf denen das Programm von straight ahead bis modern Jazz reichte. Da auch die Superstars einige Tage auf dem Schiff blieben, nutzte der musikalische Leiter Eric Marienthal dies für einmalige Kombinationen von Musikern, die zum Spannendsten der Cruise gehörten. Kamasi Washington, der mit seiner eigenen Band sein übliches bombastisches Programm mit zwei Power-Schlagzeugern spielte, begeisterte in Jam Sessions mit Robert Glasper, als Gast von Marcus Miller und insbesondere in einem Saxofone Summit, in dem er ein gefühlvolles „In a sentimental mood“ intonierte und neben Kirk Whalum’s „Equinox“ seine Nähe zu Coltrane demonstrierte. Pianist Geoffrey Keezer zeigte sich in seinem dritten Frühling nicht nur in der Band von David Sanborn, sondern auch in seinem Spielfreude versprühendem Trio mit Bassist Ben Williams und Schlagzeuger Billy Kilson. Schlagzeuger Justin Brown feierte eine Reunion im Gerald Clayton Trio und befeuerte aus allen Rohren Organist Joey DeFrancesco bei einem gelungenen Organ-Piano-Zusammenspiel mit Gerald Clayton, später auch bei der mitreißenden Reunion von Joey mit seinem Philadelphia Schulfreund Christian McBride. McBride präsentierte sich in Topform mit seinem Tip City Trio mit Pianist Emmet Cohen und dem Wes Montgomery-inspirierten Gitarristen Dan Wilson, das auf angenehme Weise an Ron Carter’s Golden Striker Trio erinnerte, aber doch eigene Akzente setzte. Cohen brillierte auch mit seinem Organ Quartet mit dem Gregory Porter Saxofonisten Tivon Pennicott, der seinerseits eine Session mit Porter’s Band leitete, die sich sichtlich freute, mal auf Teufel komm raus improvisieren zu können. Am Schluss kam Porter dazu und sang ein überragendes „Equinox“. Die Blue Note Cruise, an der auch die Blue Note Clubs und das Blue Note Label – vertreten durch Präsident Don Was – als Partner beteiligt waren, erreichte mit dieser vierten Ausgabe ihren Sweet Spot.
Die Jazz Cruise konnte diesmal bereits 20-jähriges Jubiläum feiern, war sie doch 2001 von Anita Baker, der Mutter des heutigen Cruise Boss Michael Lazaroff, gestartet worden. Sie verstarb 90-jährig daheim in St. Louis während der diesjährigen Cruises. Die Jazz Cruise ist stilistisch enger und rein auf Straight Ahead Jazz ausgerichtet. Dianne Reeves faszinierte das Publikum mit herausragenden Konzerten. Auch in Interview Sessions wirkte sie souverän und entspannt wie selten. Einen Höhepunkt stellte ihr Mitwirken mit der All Star Big Band der Cruise unter John Clayton dar. Die Big Band überzeugte auch in einer Show zum 20-sten Geburtstag der Jazz Cruise u.a. mit Tenor-Altmeister Houston Person und den SängerInnen Niki Haris und Kurt Elling. In blendender Verfassung zeigte sich Saxofonist Charles McPherson mit seiner herausragenden Band mit Trompeter Brian Lynch – auf Wolke 7 nach seinem kürzlichen Grammy Gewinn –, Pianist Jeb Patton, Bassist David Wong und dem Meister-Schlagzeuger Johnathan Blake. Pianist Sullivan Fortner spielte exzellente Sets mit seinem Quartett wie auch in diversen All Star Sessions. Die rein weiblich besetzte Spitzenband Artemis, u.a. Renee Rosnes, Anat Cohen und Ingrid Jensen, überzeugte mit optimaler Balance von guten Kompositionen, Arrangements und solistischen Leistungen. Pianist Tamir Hendelman begeisterte nicht nur in Jeff Hamilton’s Trio, sondern noch mehr im expressiven Duo mit Klarinettistin Anat Cohen. Die Sängerinnen Catherine Russell und René Marie erzählten fesselnde Geschichten, Nachwuchssängerin Veronica Swift faszinierte trotz Seekrankheit mit packenden Song-Interpretationen. Sie wurde von Emmet Cohen begleitet, der dabei wie auch in seinen Trio-Auftritten mit Bassist Yasushi Nakamura und Schlagzeuger Kyle Poole und in Christian McBride’s Trio demonstrierte, warum er in den letzten Jahren so ziemlich alle amerikanischen Pianisten-Preise abgeräumt hat. Die wunderbare Cruise kulminierte in Gary Smulyan’s Farewell Jam, in der sechs Saxofonisten an den verstorbenen Jimmy Heath erinnerten und fünf Trompeter an Claudio Roditi.
Vom amerikanischen Enfant Terrible Mae West ist das Bonmot überliefert „Too much of a good thing … can be wonderful.“ Was immer sie damit gemeint haben mag, es passte jedenfalls perfekt auf diese Jazz Cruises. Ach ja, es wurden natürlich auch einige Häfen bei schönstem Wetter angelaufen … aber das interessierte die meisten Passagiere nur am Rande.
Hans-Bernd Kittlaus
Weitere Fotos auf www.hansberndkittlaus.de
www.thejazzcruise.com
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