Thomas Chapin: Night Bird Song

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Thomas Chapin
Night Bird Song
Film: http://www.thomaschapinfilm.com/
(zu beziehen unter Thomas Chapin Film)

Thomas Chapin war ein Phänomen. Ein blasser schmächtiger weißer Junge, der Jazz spielen wollte wie sein Vorbild Rahsaan Roland Kirk. Und das tat er dann – mit einer unter die Haut gehenden Intensität, einem unbändigen Willen zu spielen und einem eigenständigen Sound vor allem auf Altsaxofon und Flöte. Angesichts dieser überquellenden Lebensfreude und Neugier hatte es eine besondere Tragik, dass er 1998 mit gerade 40 Jahren an Leukämie starb. Seitdem halten seine Hinterbliebenen, insbesondere seine Ehefrau Terri Castillo Chapin, die er nach langer Beziehung heiratete, als er schon erkrankt war, das Andenken an Thomas Chapin aufrecht mit bemerkenswerten CD-Veröffentlichungen (Alive, Knitting Factory (8 CDs); Never Let Me Go, Playscape (3 CDs)). Jetzt haben Terri Chapin und ihre Schwester Stephanie J. Castillo als Filmemacherin die monumentale Film-Dokumentation “Night Bird Song“ veröffentlicht, die das Leben Chapins konsequent aus einer liebevollen Innensicht heraus nachzeichnet. Die zahlreichen Videos, die sie in den Film integriert haben, zeigen die gewaltige Intensität seiner Live-Auftritte, aber auch viele berührende private Momente, etwa von der Hochzeit. Die Bild- und Tonqualität ist naturgemäß nicht immer perfekt, aber akzeptabel. Chapin war tief verwurzelt in der Jazz-Tradition. Er spielte von 1981 bis 1986 in der Big Band Lionel Hamptons als Altsaxofonist und Musical Director. Nach Überwindung seines Alkoholproblems begann er dann, sich einen eigenen Namen zu machen, vor allem in der Zusammenarbeit mit Bassist Mario Pavone. Seine Musik wurde immer wagemutiger. Wie bei Roland Kirk verschmolzen auch bei Thomas Chapin Tradition und Avantgarde. Die Aufnahmen lassen den Zuschauer Chapin’s Fähigkeit erleben, das Publikum emotional zu berühren und eine Verbindung herzustellen. Als er am Ende auf dem Sterbebett lag, war sein einziger verbliebener Wunsch, noch einmal zu spielen. So schleppte er sich zu einem Benefiz-Konzert, das für ihn an seinem Wohnort veranstaltet wurde, und spielte ein achtminütiges Flötensolo von einer Reinheit und inneren Ruhe, die selbst in der Filmwiedergabe außerweltlich anmutet. Wenige Tage später war er tot. Diese wunderbare Dokumentation wurde auf zahlreichen Filmfestivals gezeigt und mit Preisen ausgezeichnet. Es gibt sie in einer 150 Minuten-Langversion und einer 90-Minuten-Kurzversion, jetzt auch auf DVD.

Hans-Bernd Kittlaus 27.02.17