Gregory Porter
Liquid Spirit
Blue Note 0602537410538
Der Senkrechtstarter des Jazz-Gesangs ist mittleren Alters, konservativ edel gekleidet und trägt immer eine auffällig unauffällige Kopfumhüllung, die nur sein vollbartgeschmücktes Gesicht freilässt und über deren Zweck Gregory Porter bis heute nicht öffentlich gesprochen hat. Schon mit seiner Debut CD ‘Water’ (Motema, 2010) hatte der bis dahin weitgehend Unbekannte verblüffenden Erfolg, sein Song ‘1960 What ?’ wurde zu einer neuen Hymne schwarzen Protests. Das Nachfolgealbum ‘Be Good’ (Motema, 2012) knüpfte nahtlos daran an und lieferte mit ‘On My Way to Harlem’ die neue Nationalhymne des New Yorker Stadtteils. 2013 hat der Bariton bereits den Status des Jazz Weltstars erreicht, wird von einem Festival zum nächsten gereicht und legt seine dritte CD ‘Liquid Spirit’auf dem renommierten Blue Note Label vor. Wie ist das möglich? Zum einen verfügt Porter über eine warme sympathische Baritonstimme in der Tradition eines Billy Eckstine und Joe Williams, hat aber ein größeres Ausdrucksspektrum als diese. Er kann Stimmungen von melancholisch zärtlich (‘I Fall in Love Too Easily’) bis wild und bissig (‘Free’) ausdrücken. Dabei wirkt er immer authentisch, nicht wie ein oberflächlicher Showman, sondern menschlich und nahbar, wenn auch etwas geheimnisvoll. Seine eigenen Songs, für die er meist Musik und Text schreibt, haben so altmodische Qualitäten wie eingängige, aber nicht langweilige Melodie und intelligenten Text. Dazu mischt er ein paar Standards, hier u.a. Ramsey Lewis’ 60er-Jahre-Hit ‘The In Crowd’ in heftig swingender Fassung. Er nähert sich zumindest bisher nicht wie so viele andere dem Pop an, sondern seine Musik ist immer als Jazz im engeren Sinne erkennbar, auch wenn Einflüsse von Soul und Rhythm’n’Blues nicht zu überhören sind. Die neue CD hat einen etwas größeren Anteil an Liebesliedern als die vorherigen, aber der Protest kommt auch nicht zu kurz, vor allem in ‘Free’, dem stärksten Song der CD. Eigentlich kaum zu glauben, dass ein Sänger mit diesen Eigenschaften zum Shooting Star wird. Aber vielleicht hat die weltweite Jazz-Gemeinde tatsächlich auf diese ‘old soul’, wie Dee Dee Bridgewater ihn kürzlich in einem Interview nannte, gewartet.
Hans-Bernd Kittlaus 25.07.13