Lincoln Center Jazz Orchestra with Wynton Marsalis
Don’t be afraid … the music of Charles Mingus
Palmetto 2114
Nach Ellington, den Wynton Marsalis schon mehrfach mit dem LCJO gewürdigt hat, zählt Charles Mingus zu den wichtigsten Jazz-Komponisten. Ihm und seinen Kompositionen heute gerecht zu werden, ist aber ungleich schwieriger als bei Ellington, weil Mingus’ Werke überwiegend nicht ausnotiert sind und Mingus die nicht notierbaren Aspekte der Performance besonders wichtig waren. Er war bekannt dafür, mit keineswegs subtilen Methoden bei seinen Musikern den Zorn und die Aggressivität zu wecken, die er in seiner Musik ausdrücken wollte. So etwas liegt dem LCJO nun wirklich fern. Außerdem gibt es mit der Mingus Big Band seit vielen Jahren ein Orchester, das sich erfolgreich darauf spezialisiert hat, Mingus’ Musik und Spirit am Leben zu halten. So greift der CD-Titel wohl nicht nur den Namen der Mingus-Komposition ‚Don’t be afraid, the clown’s afraid too’ auf, sondern drückt auch aus, dass Marsalis sich des Wagnisses sehr bewusst war. Sicher nicht zufällig stammen drei der sechs Titel der CD aus Mingus’ ‚New Tijuana Moods’ von 1957, einem seiner zugänglicheren Werke. Der Vergleich der Originalaufnahme, der entsprechenden Aufnahme der Mingus Big Band (Que Viva Mingus, Dreyfus) und dieser CD zeigt Stärke und Schwäche des LCJO zugleich. Die hochkarätige Besetzung des Orchesters garantiert eine kompetente Darbietung der Musik, aber der Spirit des Originals kommt nicht einmal ansatzweise zum Ausdruck. Marsalis trennt den Komponisten Mingus konsequent ab vom Performer Mingus. Das Ergebnis ist durchaus hörenswert, aber wenn ich die Wahl habe, ziehe ich das Original und die Aufnahme der Mingus Big Band vor.
Hans-Bernd Kittlaus 29.12.05