Clifton Anderson – Er war da schon mal

© Hollis King
Clifton Anderson by © Hollis King

Über einen Zeitraum von 28 Jahren stand er mit großer Regelmäßigkeit auf den größten Konzertbühnen der Welt. Ein Star ist der Posaunist Clifton Anderson dabei nicht geworden, aber ein exzellenter Jazz-Musiker, der gerade seine bisher beste Aufnahme vorlegt mit der CD „Been Down This Road Before“ (Ropeadope).

Anderson wurde 1957 in eine Familie mit karibischen Wurzeln in Harlem geboren. Er wuchs mit Jazz und Jazz-MusikerInnen auf, insbesondere weil der Bruder seiner Mutter der damals schon sehr bekannte Tenorsaxofonist Sonny Rollins war. Der war es auch, der dem siebenjährigen Clifton seine erste Posaune schenkte. Er besuchte die renommierte Fiorello LaGuardia High School of Music and Art in New York, dann auch einige Zeit die Manhattan School of Music. Dazu meint er: „Damals wurde Jazz noch nicht so verbreitet an Musikhochschulen gelehrt wie heute. Außerdem können die einem zwar Grundlagen und Techniken vermitteln, aber das eigentliche Jazz-Spielen lernt man nur in der Praxis, indem man eben mit vielen verschiedenen Musikern spielt.“ Und das tat er mit Frank Foster oder mit Slide Hampton’s World of Trombones, aber auch mit Muhal Richard Abrams. Anderson: „Da fühlte ich mich noch nicht bereit, etwas Eigenständiges zum Jazz Kanon beizutragen. Deshalb machte ich damals noch keine Aufnahmen unter meinem Namen.“

1983 holte Sonny Rollins ihn in seine Band. Rollins war damals schon der Weltstar, der von der Mehrheit der Jazz Community als der größte lebende Improvisator des Jazz betrachtet wurde und bis heute wird. Anderson: „Es war eine unglaubliche Erfahrung, mit Sonny auf der Bühne zu stehen. Für ihn war es völlig normal, 20-Minuten-Solo-Improvisationen zu spielen, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu wiederholen. Ich habe von ihm so viel gelernt als Musiker, aber auch fürs Leben. Wie man Konzerte dramaturgisch gestaltet, wie man eine Band leitet …“. Die Jazz-Presse kritisierte Rollins öfter, dass seine Bands ihm solistisch nicht das Wasser reichen könnten. Dazu Anderson: „Für uns als Band-Mitglieder war es immer klar, dass unsere Rolle darin bestand, ihn zu unterstützen. Er stand im Mittelpunkt. Das haben Außenstehende nicht immer verstanden. Freddie Hubbard besuchte mal eines unserer Konzerte und sagte mir hinterher: ‚Du hast mich gerade an mich selbst erinnert, als ich in Sonny’s Band spielte. Ich stand die ganze Show über auf der Bühne, aber Sonny ließ mich nicht spielen.‘“ Später wurde Clifton Anderson Musical Director der Band bis 2009. Als Rollins körperlich schwächer wurde, holte er Anderson für seine letzten Touren zurück. Seit 2012 tritt Rollins nicht mehr öffentlich auf.

Wie sieht Clifton Anderson seine 28 Jahre mit Sonny Rollins im Nachhinein? „Es war eine tolle Zeit, in der ich viel gelernt habe und die ich nicht missen möchte. Als ich Sonny’s Band 2009 verließ, dachte ich, dass mir alle Türen offenstehen würden, denn ich kannte viele Leute auf der ganzen Welt. Aber ich musste dann schmerzlich erfahren, dass das nicht unbedingt bedeutete, dass sie mich und meine Band auch engagieren wollten. Meine eigene Karriere hatte in dieser Zeit Schaden genommen.“

Auch mit den Labels steht Anderson auf Kriegsfuß. „Ich machte meine erste eigene Aufnahme 1996 für Milestone, das damals zu Fantasy gehörte, heute zu Concord. Es war völlig normal, dass man als Musiker Rechte ans Label abtrat. Als Concord später die Aufnahme von den Streaming-Plattformen zurückzog, wollte ich sie zurückkaufen. Das lehnten sie ab und boten mir an, meine eigene Aufnahme für einen vierstelligen jährlichen Betrag zu lizensieren. Sowas mache ich nicht mehr. Heute finanziere ich meine Aufnahmen selbst und gebe dann eine Lizenz an ein Label. Das ist mühsamer, aber ich fühle mich wohler damit.“

So ist auch „Been Down This Road Before“ über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren entstanden. Anderson: „Ich schreibe ständig Musik und habe so viel Musik da liegen, dass ich sie in diesem Leben wohl nicht mehr komplett aufnehmen kann. Aber ich möchte, dass die Leute meine Musik hören. Das ist das Wichtigste für mich.“ So sind auf der CD neun Eigenkompositionen und der Standard „A House Is Not a Home“, den Anderson mit seinem weichen Posaunenton zelebriert. Anderson: „Manche jüngeren Musiker vernachlässigen heute oft die Melodie. Mir ist Melodie sehr wichtig. Ich denke, das merkt man meinen Kompositionen an.“ Besonders eindrucksvoll sind einige Kompositionen, die Menschen gewidmet sind, die eine wichtige Rolle im Leben von Clifton Anderson gespielt haben, so etwa Sonny Rollins, Bob Cranshaw und seiner Schwester.

Es wirken insgesamt achtzehn MusikerInnen mit, die Anderson alle mit Bedacht ausgewählt hat. Mit den meisten hatte er in der Vergangenheit bereits zusammengespielt. Pianist Stephen Scott, Schlagzeuger Al Foster, Gitarrist Peter Bernstein und die Perkussionisten Victor See Yuen und Sammy Figueroa kannte er aus Sonny Rollins‘ Band. Rollins‘ langjähriger Bassist Bob Cranshaw, den Anderson auf seinen vorherigen CDs eingesetzt hatte, verstarb 2016. Anderson: „Ich war verwöhnt von Bob Cranshaw, der nie der große Showman war, aber immer einfach die richtigen Töne spielte. Als ich jetzt überlegte, wen ich statt Bob fragen könnte, fiel mit sofort Buster Williams ein, mit dem ich damals mit Slide Hampton zusammengespielt hatte. Der sagte auch gleich zu. Es wissen nur wenige Leute, dass die Saxofonisten Eric Wyatt und René McLean beide Sonny’s Patensöhne sind. Deshalb fand ich es witzig, beide dabei zu haben. Monty Alexander ist ein alter Freund, der aus Jamaica kommt genau wie mein Vater. Antoine Roney kenne ich aus der Zeit, als wir in Geri Allen’s Band spielten zusammen mit Wallace Roney. Für den Titelsong hatte ich einen Text geschrieben und hatte einen Sound im Kopf. Ich brauchte einen Sänger, der sich mit dem Text identifizieren konnte. Ich dachte an Andy Bey, Gregory Porter und Raul Midón. Als Andy positiv reagierte, schickte ich ihm den Text. Am nächsten Tag rief er euphorisch an und sagte ‚Das muss ich singen‘, ohne die Noten gesehen zu haben.“

„Been Down This Road Before“ zeigt die musikalische Welt von Clifton Anderson und ihn selbst als Posaunist und Komponist ganz vorzüglich. „Ich hatte meine eigenen CDs immer an Sonny gegeben, und er hatte nie reagiert. Diesmal rief er mich ein paar Tage später mitten in der Nacht an und sagte (Clifton machte Sonny’s Reibeisenstimme nach): ‚Clifton, this is a good record.‘ Wenn Sonny das sagt, muss wohl tatsächlich was dran sein.“

Hans-Bernd Kittlaus