Erroll Garner: Nightconcert

Erroll Garner
Nightconcert
Mack Avenue MAC1142

Concertgebouw Amsterdam, 7. November 1964, Mitternachtskonzert vor ausverkauftem Saal: Erroll Garner, der barocke Gigant des Jazz-Pianos, startet mit uncharakteristisch kurzer kreativer Einleitung, die plötzlich in den Standard „Where or When“ mündet. Das Publikum ist begeistert überrascht, Bassist Eddie Calhoun und Schlagzeuger Kelly Martin vermutlich auch, denn Garner gab seinen Musikern nie eine Set List. Höllischer Swing, nie versiegender Ideenfluss. Mit 43 war Garner auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten, anerkanntes Mitglied der Piano-Dreifaltigkeit mit Art Tatum und Oscar Peterson, kommerziell erfolgreich mit seinem berühmten Album „Concert by the Sea“ von 1955, Autodidakt, der keine Noten lesen konnte, Komponist des Standards „Misty“ (der nicht auf dieser CD enthalten ist), Kettenraucher, der nur 55 Jahre alt werden sollte. Dies ist kein gleichberechtigtes Trio, sondern ein Piano-Genie mit Begleitung. Auch für heutige Ohren verblüffend modern klingen seine Einleitungen in „Easy to Love“ oder „Laura“. Wenn Garner dann schließlich die Melodie spielt, wirkt es wie das dramatische Lüften eines Geheimnisses. Mit diesem publikumswirksamen Stilmittel arbeitet er oft in diesem Programm, das überwiegend aus Standards von „Green Dolphin Street“ und „Night and Day“ bis „My Funny Valentine“ und „Over the Rainbow“ besteht und erstmals veröffentlicht wird. Im Gegensatz zu Tatum und Peterson blieb Garner zeitlebens ein Solitär, dem kein großes Gefolge von Jüngern beschieden war, die sich seine einzigartige Spielweisee zum Vorbild nahmen. Umso erfreulicher, dass sich in jüngerer Vergangenheit etwa die verstorbene Geri Allen und Christian Sands auf ihn berufen haben. Sands fungiert als Ko-Produzent der CD und trägt zu den exzellenten Liner Notes bei. Die klangliche Aufbereitung ist gut, auch wenn das Klavier mitunter etwas metallisch klingt. Insgesamt ein klarer Kandidat für die Bestenlisten für historische Jazz-Veröffentlichungen.

Hans-Bernd Kittlaus 16.08.18